Großbritannien verstand seine Rolle von jeher vor allem als stark frequentiertes Transitland, das Emigranten aus Deutschland und Österreich vor allem die Weiterreise in andere Länder ermöglichen sollte.
Weiter ist oft nicht die genaue Abgrenzung der in die Zählungen einbezogenen Gruppe zu erkennen.
Außerdem unterschied die britische Regierung in der Dokumentation der Zahlen bis 1939 nicht zwischen Flüchtlingen der NS-Politik und anderen Einreisenden.
Schon allein diese Tatsachen erklären die sehr unüberschaubare und zum Teil sehr widersprüchliche Flut an genauen Zahlen und Schätzungen.
Diese Unsicherheit in der quantitativen Erfassung sind also immer mitzudenken, wenn es um ihre Vergleichbarkeit gerade auch mit anderen Länderbeiträgen dieser Website geht (Strickhausen 1998: 253f.).
Die Schätzungen zur Gesamtzahl aller zwischen 1933 und 1945 nach Großbritannien Eingereisten schwanken zwischen 50.000 und 80.000 Emigranten.
In diese Zahl sind auch diejenigen eingerechnet, die Großbritannien nach einem Transitaufenthalt (spätestens nach zwei Jahren) wieder verließen. Wie die folgende Tabelle beispielhaft zeigt, findet man einen deutlichen Anstieg der Zahlen vor allem ab 1938; etwa 70% aller Flüchtlinge, die dauerhaft in Großbritannien Zuflucht suchten, immigrierten zwischen November 1938 bis September 1939 (Strickhausen 1998: 251 und 254).
Im Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933–1945 (hrsg. v. Werner Röder & Herbert A. Strauss 1980-83, reprint 1999) sind insgesamt 2.152 Akademiker erfasst, deren Einreise nach Großbritannien sich über die Jahre wie folgt verteilt:
Jahr |
Emigrationen |
Als erstes Emigrationsland |
Als zweites Emigrationsland |
Als drittes Emigrationsland |
1933 |
313
| 265 |
36 |
12 |
1934 |
131
| 91 |
31 |
9 |
1935 |
91
| 51 |
33 |
7 |
1936 |
112
| 77 |
23 |
12 |
1937 |
103
| 66 |
24 |
13 |
1938 |
504
| 362 |
113 |
29 |
1939 |
661
| 442 |
149 |
70 |
1940 |
51
| 5 |
31 |
15 |
1941 |
25
| |
1 |
24 |
1942 |
14
| 1 |
2 |
11 |
1943 - 45 |
15
| |
3 |
6+3+3 |
Einzelfälle nach 1945 |
51
| |
|
51 |
Ohne Jahreszahlen |
81
| 32 |
27 |
24 |
Gesamt |
2152
| 1392 |
473 |
289 |
Davon mehrfache Emigration nach GB |
96
| 54 |
18 |
24 |
Frühe Migration (-1933)
Seit den Migrationen der Angelsachsen im 5. Jahrhundert aus den Regionen des heutigen Norddeutschlands auf die britischen Inseln, die dem Land einen seiner Namen gaben, fanden sich dort immer wieder Gruppen von Immigranten ein, die aus religiösen oder wirtschaftlichen Gründen dorthin migrierten.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam beispielsweise bis zum Stichjahr 1861 28,644 Migranten aus deutschen Landen nach Großbritannien (laut https://en.wikipedia.org/wiki/Historical_immigration_to_Great_Britain).
Etwa die Hälfte davon ließ sich in London nieder, andere in Manchester, Bradford oder anderen Städten.
Bis 1891 stellen Migranten aus Deutschland die Mehrzahl der Eingewanderten – danach waren sie die zweithäufigste Migrantengruppe nach russischen Juden.
Im Jahr 1911 hatte die Zahl der aus Deutschland stammenden Migranten 53.324 Personen erreicht.
Seit der Erlassung des Fremdengesetzes 1905 durfte jeder nach Großbritannien migrieren, der aufgrund von der eigenen Religion oder politischen Einstellung sein Heimatland verlassen musste.
Durch den ersten Weltkrieg wurden die Einreisebedingungen verschärft, sodass jetzt (im Gegensatz zur Zeit bis 1904) jeder Einreisende überprüft wurde, bevor er dauerhaft im Land bleiben durfte. (Leske; Reinisch 1981: 147f.).
Die Zahl der im Land verbliebenden Migranten aus Deutschland fiel dann aber aufgrund der durch den 1. Weltkrieg ausgelösten Deutschenfeindlichkeit im Land auf unter 20.000 (Panayi 1991: 1).
Die überwiegende Mehrzahl dieser Migranten vor 1933 waren Handwerker oder einfache Bedienstete, die trotz der Sprach- und kulturellen Anpassungsschwierigkeiten ihre Berufe gut ausüben konnten – Akademiker kamen schon aus Sprachgründen nur in Einzelfällen an den britischen Bildungseinrichtungen unter, da deren englisch nur in seltenen Fällen so gut war, dort angenommen zu werden.
Emigration ab 1933 & Einreisebedingungen
Ab 1933 wurde die Möglichkeit der Einreise direkt an den Häfen durch Beamte entschieden.
Wichtigster Entscheidungsfaktor war hier vor allem die finanzielle Situation der Immigranten.
Nach einer Studie von Sir Normann Angell wurden zwischen 1933 und 1937 durchschnittlich 350 Personen pro Jahr wegen fehlender finanzieller Absicherung in ihre Heimatländer zurückgeschickt (Leske; Reinisch 1981: 148f.).
Dennoch kamen zwischen 1933 und November 1938 neben den ungefähr 5.000 Transitreisenden etwa 16.000 Personen nach Großbritannien, was durchschnittlich ungefähr 2.000 Personen pro Jahr bedeutete (Carsten 1983: 138).
Für Akademiker waren die Hilfsorganisationen entscheidend für die Vermittlung an britische Universitäten.
Die Rolle der Hilfsorganisationen
In Großbritannien herrschte bereits ab 1933 eine ausgeprägte Unterstützung der Emigranten durch Hilfsorganisationen; 1933-1938 wurden 233.000 Pfund Sterling für die Unterstützung aufgebracht; bis 1940 stieg diese Summe auf 3 Millionen Pfund.
Besonders bekannt ist der Academic Assistance Council, der schon im Mai 1933 gegründet wurde, mit dem Ziel, “Assistenten, Wissenschaftlern und Forschern zu helfen, denen es auf Grund ihrer Religion, ihrer politischen Anschauung oder Rasse nicht möglich ist, ihre Arbeit in ihrem eigenen Land fortzusetzen.“.
In Zusammenarbeit mit der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland (gegründet 1933 in der Schweiz; ab 1936 Hauptsitz in London mit weiteren Sitzen in New York, Istanbul, Paris und Zürich) konnten bis 1936 insgesamt 57 Akademiker dauerhafte und weitere 155 immerhin befristete Arbeitsverträge erhalten (Leske; Reinisch 1981: 163ff.; Carsten 1983: 143).
Einen Großteil der Hilfsorganisationen machten halboffizielle Organisationen und Vereine aus, die oft einen religiösen Hintergrund hatten, wie bspw. das jüdische Flüchtlings-Komitee oder diverse christliche Körperschaften.
Auch für einzelne betroffene Länder gab es eigene Formierungen von Hilfsangeboten; ein Beispiel hierfür wäre der „Czech Refugee Trust Fund“, bei dem 1938 durch die Regierung 4 Millionen Pfund für tschechische Emigranten zur Verfügung gestellt wurden (Leske; Reinisch 1981: 163ff.).
Meist halfen Hilfsorganisationen nicht nur bei der Flucht aus Deutschland bzw. Österreich und der Einreise nach Großbritannien, sondern sie kamen anschließend auch für den Lebensunterhalt der betreuten Immigranten auf.
Bis 1938 entstanden über 200 Hilfsorganisationen, die meist eine eigene Gruppe an Personen im Blick hatten, denen sie Unterstützung anbieten wollten.
Zur besseren Koordination wurden sie im Januar 1939 unter einem Dachverband zusammengefasst, der half, für jede Anfrage die passendste Unterstützung zu vermitteln (Strickhausen 1998: 255f.).
Emigration ab 1938
Durch die Annexion bzw. den sog. „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurde eine neue Emigrationswelle ausgelöst (Goldner 1977: 221-235, Steiner 1988), woraufhin die Einreisebedingungen nach Großbritannien einer Revision unterzogen wurden.
Der Zentralisierung der Einwanderungspolitik folgte die Einführung eines einheitlich geregelten Visasystems für alle Immigranten.
Gleichzeitig bedeutete das eine große Hürde durch die Menge an Unterlagen, die für einen Visa-Antrag nötig waren.
Eine Einreise war nun in drei verschiedenen Fällen möglich, die jeweils mit Nachweisen zu belegen waren: Erstens, wenn Großbritannien nur als Transitland für eine Weiterreise, z.B. in die USA, dienen sollte.
Zweitens unter Nachweis einer Arbeitserlaubnis, die in der Regel vom Arbeitsministerium ausgestellt wurde (was nur möglich war, wenn zwischen Immigranten und Briten keine Konkurrenz um die Arbeitsstelle herrschte), oder bei Nachweis von genügend Kapital zur finanziellen Absicherung der eigenen Existenz.
Die dritte Möglichkeit war ein Nachweis eines britischen Bürgen, der garantierte, für den Unterhalt der Einwanderer aufzukommen.
Alle drei Punkte sollten verhindern, dass die Immigranten auf Staatskosten in Großbritannien lebten (Leske; Reinisch 1981: 149f.).
Diese Bedingungen hatten ihren Ursprung in einer realistischen Befürchtung der Regierung: durch das Aberkennen der deutschen bzw. österreichischen Staatsbürgerschaft vieler Emigranten vergrößerte sich die Sorge der britischen Regierung vor einer nicht mehr handhabbaren Menge an staatenlosen Emigranten, die demnach auch nicht in andere Länder weiterreisen könnten (Hirschfeld 1966: 65f.).
Bis April 1939 gelang ca. 20.300 Erwachsenen sowie 4.800 Kindern aus Deutschland, Österreich und Tschechien eine Einreise nach Großbritannien. Im September 1939 war die Zahl auf insgesamt 55.000 Immigranten angestiegen. Davon konnten etwa 21.000 aufgrund einer Anstellung im Haushaltsbereich einreisen (Carsten 1983: 140).
Bedeutend war auch der Einsatz der britischen Regierung für gefährdete Kinder und Jugendliche zu diesem Zeitpunkt; zwischen Dezember 1938 und September 1939 wurde die Einreise von etwa 10.000 Kindern aus Deutschland sowie 9 Transporte mit Jugendlichen aus Österreich ermöglicht. Sie reisten ohne Eltern ein, wurden durch Hilfsorganisationen oder direkte Spenden finanziell abgesichert und kamen in Wohnheimen, Pflegefamilien oder Internaten unter (Strickhausen 1998: 256f. und Steiner 1988: 980).
Wer emigrierte nach Großbritannien?
Die meisten der Immigranten, die in Großbritannien Zuflucht suchten, waren klein- und mittelbürgerliche Juden oder sie galten als „jüdisch versippt“ (NS-Terminologie).
Sie bezeichneten sich aber nur selten als streng-gläubig. Auffällig ist die überdurchschnittlich hohe Frauenquote, die vermutlich durch die Anstellungsbeschränkung auf haushälterische Beschäftigungen bedingt ist (Strickhausen 1998: 253).
Unter den Einwanderern waren sowohl Künstler, Wissenschaftler und Freiberufler zu finden, wie auch Beamte, etliche Kaufleute und (zum Teil selbstständige) Unternehmer, deren Ziel entweder die Assimilation in Großbritannien oder eine Weiterreise in die USA war. (Leske; Reinisch 1981: 149) (Carsten 1983: 140)
Nach dem Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933–1945 (hrsg. v. Werner Röder & Herbert A. Strauss 1980-83, reprint 1999) lassen sich die deutschsprachigen Emigranten quantitativ etwa folgenden Fachbereichen zuordnen:
Von den Emigranten mit GB/UK als erstes Emigrationsland
Jahr |
Personen insgesamt |
Geistes-/Sozialwissenschaftler |
Geistliche |
Kunst |
Medizin |
Naturwissenschaftler |
Öffentlicher Dienst |
Professur |
Wirtschaft |
1933 |
313 |
9 |
1 |
47 |
11 |
23 |
37 |
105 |
18 |
1934 |
131 |
3 |
|
19 |
1 |
3 |
12 |
42 |
7 |
1935 |
91 |
|
1 |
17 |
1 |
3 |
7 |
13 |
9 |
1936 |
112 |
2 |
1 |
20 |
1 |
5 |
13 |
24 |
9 |
1937 |
103 |
3 |
2 |
14 |
|
8 |
11 |
22 |
4 |
1938 |
504 |
6 |
18 |
54 |
20 |
23 |
48 |
98 |
28 |
1939 |
661 |
7 |
34 |
58 |
14 |
19 |
92 |
139 |
35 |
Einzelfälle 1940-1950 |
156 |
|
2 |
1 |
|
|
3 |
|
|
Ohne Jahreszahl |
81 |
1 |
|
4 |
1 |
|
12 |
4 |
6 |
Gesamt |
2152 |
31 |
59 |
235 |
49 |
84 |
235 |
447 |
116 |
In den einzelnen Disziplinbeiträgen finden sich noch etwas genauere Zahlen;
Insgesamt 91, also etwa 30% aller emigrierten Chemiker, fanden in Großbritannien als erste Station der Emigration Zuflucht; die Gruppe bestand vor allem aus Bio-Chemikern.
Von den Mathematikern emigrierten 16 dauerhaft nach Großbritannien, damit war es zweithäufigstes Einreiseland. Weitere 10 Mathematiker hatten hier einen Transit-Aufenthalt bis zur Weiterreise in das Haupt-Emigrationsland der Mathematiker, den USA.
In der Physik sind 67 Emigrationsfälle nach Großbritannien bekannt, und zum Teil gab es auch schon vor 1933 Migrationsbewegungen aufgrund verschiedener Forschungsaufenthalte im Ausland.
Die beiden größten disziplinären Gruppen sind Technik/ Ingenieurwesen mit 110 Emigranten und Kunst- und Kulturschaffende mit etwa 400 emigrierten Berufs- und Laienkünstlern.
Für sowohl die Technik als auch für die Kunst galt Großbritannien zahlenmäßig als Haupt-Emigrationsland (Leske; Reinisch 1981: 168f.).
Situation im Aufnahmeland
In Großbritannien hatten Immigranten keine Auslieferung an das Deutsche Reich zu befürchten, wie es in anderen Ländern der Fall sein konnte, und es gab eine überdurchschnittlich gute Versorgung mit Essen und Taschengeld durch die Regierung (Leske; Reinisch 1981: 163f.).
Erst 1940 wurde eine Lebensmittelrationierung eingeführt – sie galt aber nicht nur für Emigranten, sondern für alle Bewohner Großbritanniens.
Dennoch war auch hier die typischen psychischen Belastungen (Psychoanalyse des Exils) nicht zu unterschätzen.
Die Immigranten hatten einen schwierigen Rechtsstatus; das Versprechen einer Weiterreise nach Übersee musste eingehalten werden, wenn es Bedingung für die Einreiseerlaubnis war.
Arbeitssituation
Bis Kriegsbeginn galt für einen Großteil der Eingereisten ein Arbeitsverbot, sogar von unbezahlter Arbeit, um die ohnehin schon sehr hohe Arbeitslosenquote (1937: 10,8%. 1938: 13,5%. Hirschfeld 1966: 65) unter den Briten nicht durch zusätzliche Konkurrenz durch deutschsprachige Emigranten ansteigen zu lassen.
Das Arbeitsverbot wurde nur in Einzelfällen ausgesetzt, nämlich bei Anstellungen im Haushalts-Bereich, also bei Beschäftigung als Dienstboten, Koch, Gärtner, Haushälterin, Butler etc.
Außerdem bei Spezialkenntnissen oder besonderen Fertigkeiten, die es in Großbritannien wenig oder gar nicht gab, die aber neue Industrien schaffen könnten; und einer Firmengründung in sog. „Sondergebieten“ Englands, also vor allem den ländlichen Regionen (rural Britain), stand nur die „normale“ Bürokratie einer Selbstständigkeit im Weg (Steiner 1988: 980, Carsten 1983: 138f. sowie Beiträge v. Loebl u. Berghahn in Hirschfeld (Hrsg.) 1983).
Das bedeutete jedoch, dass eine Anstellung meist nur (deutlich) unter der persönlichen Qualifikation möglich war. Der bestmögliche Weg zu einem passenderen Beruf war es, eine niedrige Anstellung annehmen und sich nach und nach hochzuarbeiten. Die Finanzierung des Lebensunterhaltes wurde meistens durch Hilfsorganisationen übernommen oder durch Gelegenheitsarbeiten ermöglicht.
Eine Ausnahme in Bezug auf gute Anstellungen gab es nur in Akademikerkreisen; dank der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler fanden einige wenige Wissenschaftler Hochschulanstellungen, wenn auch teils nur befristet (Leske; Reinisch 1981: 169f.).
1939 gab es größtenteils eine Aufhebung des Arbeitsverbot – durch die Kriegsvorbereitungen Großbritanniens waren neue Facharbeiter nötig, die in den Fabriken arbeiten sollten. Zur nötigen Qualifizierung für die neue Arbeit gab es von Seiten der Regierung sogar weitreichende Umschulungsangebote.
Eine Anstellung im unmittelbaren Umfeld zum Krieg, also beispielsweise in der Rüstungsindustrie und in Kraftwerken, war für Emigranten nur nach einer Sonderüberprüfung durch die Regierung möglich. Bis Sommer 1942 betraf dies ca. 30% der deutschsprachigen Emigranten (Leske; Reinisch 1981: 171f.; Willett in Hirschfeld 1983: 183-204).
Einstufung der Emigranten durch britische Regierung
Zu Kriegsbeginn 1939 wurde eine Überprüfung von 70.000-80.000 deutschsprachigen Emigranten durchgeführt, die in einer dreiteiligen Einstufung resultierte:
Dem sogenannten A-Grad „security risk“, also der Einstufung als „feindliche Ausländer“, wurden 500-600 zugewiesen; von ihnen wurden 300 sofort interniert.
7000-8000 Immigranten wurden als B-Fälle, „potentielle Feinde“, eingestuft; für sie folgten strenge Einschränkungen und Beobachtung in Alltag und Privatleben.
Der Rest der Gruppe wurde fast komplett als „freundlich Gesinnte“ den C-Fällen zugeteilt.
Zeitgleich mit den Masseninternierung deutschsprachiger Emigranten wurde im Mai 1940 eine regelmäßige Meldepflicht der Emigranten eingeführt (Leske; Reinisch 1981: 169-174; Fox und Wasserstein in Hirschfeld (Hrsg.) 1983).
Interessant ist die Verteilung von Flugblättern für Immigranten mit Hinweisen, wie sie sich zu Verhalten hatten.
Hier fanden sich Anweisungen, Englisch statt Deutsch zu sprechen, nicht öffentlich politisch zu diskutieren und nicht nach Familien-Nachzug-Möglichkeiten zu fragen, um nur einige Aspekte zu nennen.
Weiter las man hier Sätze wie „Do obey police regulations and all instructions given to you by officials of the committees. It is in your own interest.” oder “Do be as quiet and modest as possible.
If you do not make yourself noticeable, other people will not bother about you.” (Steiner 1988: 981).
Ob diese Flugblätter zum Selbstschutz der Emigranten vor einem wachsenden Antisemitismus verhelfen sollten, oder ob sie für die Verhinderung einer befürchteten Germanisierung Großbritanniens verteilt wurden, bleibt dabei offen.
Immigration-Unterschiede zwischen den Wissenschafts-Disziplinen
Wie Hirschfeld (1996: 68f.) aufzeigt, gab es zwischen den verschiedenen Disziplinen erhebliche Unterschiede darin, wie gut sie sich in die britische Wissenskultur einfügten.
So weist er darauf hin, dass Naturwissenschaftler und Mediziner sich meist besser in das Hochschul- und Forschungssystem integrieren ließen.
Den Ursprung dafür sieht Hirschfeld darin, dass die Sprache hier eine weniger bedeutende Rolle beim Wissensaustausch einnimmt, als es bei den Geistes- und Sozialwissenschaften der Fall ist.
Unter Letzteren hatten vor allem die Historiker eine Aussicht auf eine passende Anstellung, die ihre akademische Ausbildung komplett an britischen Universitäten absolvierten (oder sie wenigstens dort abschlossen).
Zum Teil gelang es ihnen, einen entscheidenden Beitrag zur Geschichtswissenschaft Großbritanniens zu leisten (Hirschfeld 1996: 68f.).
Remigration und Weiterreise
Aufgrund der Einreisebedingung, entweder über genügend finanzielle Mittel zu verfügen, oder einen Beleg zur geplanten Weiterreise vorzulegen, war Großbritannien von Grund auf ein stark frequentiertes Transitland.
Zwischen September 1939 und April 1940 reisten ca. 5.000 Menschen über Großbritannien weiter in die USA oder nach Palästina, zu dem Zeitpunkt britisches Mandatsgebiet (Leske; Reinisch 1981: 169f.).
Nach Ende des Krieges war es vorerst aufgrund behördlicher Regeln nicht möglich, aus Großbritannien auszureisen; die einzige Möglichkeit, nach Deutschland bzw. Österreich zu gelangen, war die Mitarbeit in Hilfsdiensten der englischen oder amerikanischen Armee.
Insgesamt blieben etwa 50.000 deutschsprachige Emigranten dauerhaft in Großbritannien, meist als neue britische Staatsbürger (Strickhausen 1998: 265).
[MK]
Zitierte Literatur
Brinson, Charmian u.a. (Hrsg.): “England? Aber wo liegt es?“. Deutsche und österreichische Emigranten in Großbritannien 1933-1945, München: iudicium, 1996.
Carsten, Francis L.: Deutsche Emigranten in Großbritannien 1933-1945. In: Gerhard Hirschfeld (Hrsg.): 1983, S. 138-154.
Goldner, Franz: Die Österreichische Emigration 1938 bis 1945, Wien & München: Herold, 1977.
Hirschfeld, Gerhard (Hrsg.) Exil in Großbritannien. Zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart: Klett-Cotta 1983.
Leske, Birgid; Reinisch, Marion: Exil in Großbritannien. In: Hoffmann, Ludwig (Hrsg.): Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina (=Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945, 5) Frankfurt am Main: Röderberg, 1981: 147-276.
Panayi, Panikos: The Enemy in Our Midst: Germans in Britain during the First World War, Oxford; New York: Berg, 1991.
Röder, Werner & Herbert A. Strauss: Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933–1945, München: Saur, 1980-83 (reprint 1999).
Sherman, A.J.: Island Refuge. Britain and refugees from the Third Reich 1933-1939, London: Elek Books Limited, 1973.
Steiner, Herbert: Großbritannien. In: Friedrich Stadler (Hrsg.) Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, Wien & München: Jugend und Volk, 1988: 980-985.
Strickhausen, Waltraud: Großbritannien. In: Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt: wbg Academic, 1998: 251-268.
Websites (letzter Zugriff jeweils am 31.1.2022):
https://en.wikipedia.org/wiki/Historical_immigration_to_Great_Britain
https://en.wikipedia.org/wiki/Germans_in_the_United_Kingdom
https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/278846/kindertransporte
https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/newsletter/200823/vereinigtes-koenigreich