Kabarett

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Eine vielleicht auf den ersten Blick ungewöhnliche Verarbeitungsform der Atombombenabwürfe mag die Thematisierung in Kabarettprogrammen sein. Die satirische Auseinandersetzung mit der Atombombenfrage beschränkt sich beinahe ausschließlich auf den deutschen Sprachraum. In den Vereinigten Staaten waren die Ereignisse der letzten Kriegstage niemals Stoff für jegliche Art von Komik.
Im Deutschland der 1950er Jahre existierte eine lebendige Kabarett-Landschaft. Zwei der berühmtesten Ensembles, die Berliner ''Stachelschweine'' um Wolfgang Gruner und die ''Münchner Lach- und Schießgesellschaft'' um Dieter Hildebrandt widmeten jeweils eines ihrer Programme der Atombombenfrage.


Links: Die ''Stachelschweine'', um 1958. Rechts: Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, um 1960.

Wohl auch durch den Beginn des sowjetisch - amerikanischen Wettrüstens und der damit wachsenden Bedrohung durch einen möglichen Atomkrieg, entstanden Ende der 1950er Jahre die Programme "Selten so geweint!" (Stachelschweine) und ''Überleben Sie mal!'' (Münchner Lach- und Schießgesellschaft). Besonders letzteres setzte sich sehr kritisch unter anderem mit der damals veröffentlichten Informationsbroschüre ''Jeder hat eine Chance'' auseinander, in der zwar sehr viele Hinweise für das Verhalten nach einem Atombombenabwurf enthalten waren, bei deren Auswahl die Verfasser allerdings wohl mehr auf Quantität als auf Qualität geachtet hatten.
Wie mit den (potentiellen) Ereignissen ins Gericht gegangen wurde, macht der folgende Textauszug einer kurzen Szene deutlich:
Bürgerin: Sag' mal, was liest du denn da?
Bürger 1: Das ist die amtliche Broschüre "Jeder hat eine Chance!" - seit Hiroshima meine Bettlektüre. Da stehen hoch interessante Sachen drin!
Bürger 2: Na dann sag' uns doch 'mal, was man so macht, wenn eine Atombombe angeflogen kommt!
Bürgerin: Na, was wohl? Natürlich weglaufen!
Bürger 1: Halt, halt! Hier in meiner Broschüre steht: ''Flucht bringt keine Rettung! Wer flüchtet, ist Kälte und Regen ausgesetzt.''
Bürger 2: Also nach meiner Erfahrung soll es ja nach einer Explosion ziemlich heiß sein…
Bürgerin: Nun vermies' doch nicht alles! Was kümmern uns deine Erfahrungen? Wir richten uns nach den Behörden, die sich damit beschäftigt haben - die wissen am besten Bescheid. Lies weiter!
Bürger 1: (liest) ''Wer flüchtet, kann leicht in kämpfende Truppen geraten…''
Bürger 2: Verzeihung, aber wo kämpfen da noch Truppen?
Bürger 1: (liest) ''…oder er läuft auf Straßensperren oder sonstige Hindernisse auf.''
Bürger 2: Sonstige Hindernisse? Das ist mir vollkommen klar: Wenn eine 1-Megatonnen-Bombe aus der Luft abgeworfen wird, dann entsteht ein 60 Meter tiefer Krater mit einem Durchmesser von 400 Metern. Da kann man leicht mal drüber stolpern…
Bürgerin: Ach, der will uns doch nur verunsichern!
Bürger 2: Nachdem es nun aber nicht nur 1 Mt-Bomben,
sondern auch 50-Mt-Bomben gibt, da kann es ja sein, ich meine, es muss nicht, aber es könnte sein, dass der Krater fünfzig Mal so groß wird, also 3000 Meter tief. Das hieße, man könnte die Zugspitze umdrehen, falls es einer vermöchte, und den Krater mit der umgedrehten Zugspitze dübeln!
Bürgerin: Na dann kann uns ja wirklich nichts passieren!
Bürger 2: Warum denn das?
Bürgerin: Weil wir doch die ganzen Alpen haben…
Bürger 1: Und damit kann man eine Menge dübeln!


Langspielplatte ''Überleben Sie mal!'', Polydor 1961

Leider stehen die Fernsehaufzeichnungen der beiden Kabarettprogramme nicht mehr zur Verfügung. Dennoch ermöglichen die jeweils erschienen Langspielplatten einen Eindruck der Umgangsweise der beiden Ensembles mit dieser schwierigen Thematik.
Ein Ausschnitt des Programms ''Überleben Sie mal!'' kann hier heruntergeladen werden.

 

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Letzte Änderung: 12.01.12 - DO