Die Ausreise aus Deutschland und die Einreise in andere Länder waren oft ein steiniger Weg. Diverse Einreisebestimmungen wie in der → USA oder später in den europäischen Nachbarländern wie zum Beispiel → Schweden oder die → Schweiz sorgten häufig für bürokratische und finanzielle Probleme, besonders in den späten 30er Jahren, in denen Überfahrten nach → Großbritannien oder → Lateinamerika seltener und schwieriger waren. Angekommen in neuen Ländern musste man sich um einen neuen Job, eine Wohnmöglichkeit und Genehmigungen kümmern, wie z.B. → Mediziner um ihre neue Approbation als Arzt, für die eine strenge neue Prüfung abzulegen war. Viele der Hilfsorganisationen der 1930er Jahre sorgen für eine Vereinfachung zumindest bei einem Teil dieser Probleme. Im kommenden Text werden drei besonders wichtige Hilfsorganisationen beispielhaft näher vorgestellt, aber es gab noch wesentlich mehr, welche alle größere oder kleinere Aufgabenbereiche in ihrer Tätigkeit sahen. Im „Report of the Committee for the Study of Recent Immigration from Europe“ (Davie 1947, Appendix A) werden alleine 200 regionale amerikanische Hilfsorganisationen aufgelistet (→Link auf pdf dieser Auflistung). Viele davon waren auf religiöse, politische oder fachliche Gruppierungen spezialisiert, um insonderheit diesen zu helfen. Diese Hilfsorganisationen vermittelten Kontakte, wenn man noch keine hatte, und sorgen für Arbeit innerhalb derselben Fachrichtung. Man kann die Hilfsorganisationen als Wegbereiter, aber auch als Schnittstelle zwischen den Emigranten und ihren neuen Ländern sehen. Häufig war ihre Gründung motiviert durch bereits eingegliederte Exilanten, Landesbürger oder Firmen/Institutionen mit besonderem Interesse an speziellen Fachbereichen oder Personengruppen; so der vielzitierte Ausspruch des Kunsthistorikers Walter William Spencer Cook (1888-1962):“ Hitler ist my best friend. He shakes the tree and I collect the apples.“ Obgleich es auch Hilfsorganisationen für Nicht-Gelehrte gab, besonders unter den religiös motivierten Organisationen, werden wir diese hier nicht betrachten. Generelle Zahlen zu den jeweils unterstützten Emigranten sind meist nur über eigene Veröffentlichungen zugänglich und so nur mit Vorsicht zu genießen, können aber in den heute frei zugänglichen Archivbeständen zumindest der großen Hilfsorganisationen auch gut überprüft werden
Die nachfolgende Tabelle listet geschätzte Gesamtzahlen der Emigranten in die Schweiz:
Die Rockefeller Foundation wurde 1913 von der Rockefeller-Familie gegründet und finanzierte seither überall in Europa wichtige Forschungen, Lehrstühle und Untersuchungen. Sie bauten eigene Forschungseinrichtungen auf und waren, besonders in der Medizin und in den Naturwissenschaften, sehr aktiv. Durch die sich 1933 stark verändernde Situation in Deutschland entwickelte die Rockefeller Foundation ihr „Refugee Scholar Program“. Im Rahmen dieses Programms wurde eine Liste mit ca. 1600 Namen gefährdeter und vertriebener Wissenschaftler aus Deutschland erstellt. Diese Liste deckte grob diejenigen Wissenschaftsbereiche ab, in welchen die Rockefeller Foundation bereits jahrelang intensiven Austausch und Investitionen getätigt hatte, was ca. 4 Millionen Dollar und 110 unterschiedliche Projekte in 22 europäischen Ländern beinhaltete. Diese Liste erreichte führende Universitäten in Amerika und Großbritannien sowie viele weitere Hilfsorganisationen und war wegbereitend für viele Gelehrte aus Europa, wie zum Beispiel beim gleich näher behandelten Emergency Rescue Committee. Die Rockefeller Foundation sorgte nicht nur für die Überfahrt von Emigranten und weitere Vermittlung an andere Organisationen und Universitäten, sondern sie führte auch zusätzliche Lehrstühle ein, um auch den heimischen Professoren noch Chancen einzuräumen. Die „Jewish Telegraphic Agency“ schrieb am 28. März 1935, dass eine Summe von ca. 340.000 Dollar von der Rockefeller Foundation für die Hilfe von „Nicht-Arischen“ Professoren und Wissenschaftlern bereitgestellt wurde und dass 236 Gelehrte in Bildungsinstitutionen eine Stelle gefunden haben (Appleget 1946, Craver 1986).
Die SPSL (Society for the protection of Science and Learning) ist eine Nachfolgeorganisation
der AAC (Academic Assistence Councel). Die AAC war eine nur temporäre Institution, da die
britischen Gelehrten - wie viele andere auch – meinten, der Nationalsozialismus wäre ein
temporäres Problem. Als diese Hoffnung allerdings 1936 zugrunde ging, wurde die AAC in
die SPSL umgeformt welche als eine permanente Organisation gedacht war.
Die AAC wurde von William Henry Beveridge gegründet. Beveridge war zum Zeitpunkt der
Erlassung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Beamtentums in Wien und erfuhr so von
der Notwendigkeit einer Hilfsorganisation für deutsche Akademiker. Als Präsidenten gewann
er den Nobelpreisträger Ernest Rutherford und als Vizepräsidenten den Nobelpreisträger
A.V. Hill. Die drei Männer und ihre Mitarbeiter sammelten Spenden, durch die sich die
Organisation finanzierte. Die Mitarbeiter der AAC arbeiteten unerschöpflich, zum Teil 14
Stunden pro Tag sowie am Wochenende. Als die AAC anfangs noch in den Räumen der Royal
Society untergebracht war, hörten sie nur abends auf zu arbeiten, da die Gebäude um 22:00
Uhr geschlossen wurden (Vgl. Refugee Scholars. Conversations with Thess Simpson. S.33).
Später zog die AAC in Räumlichkeiten der Economic School of London um und verlagerte ihre
Büroräume mit Ausbruch des Krieges an die Cambridge Universität.
Die ACC verstand sich nicht als Organisation, welche nur deutschen Flüchtlingen helfen
würde, sie half allen Akademikern, die aus dem einen oder anderen Grund aus ihrem Land
fliehen mussten, so halfen die Organisation beispielsweise auch spanischen Akademikern
dabei nach Lateinamerika zu gelangen. Die AAC erkannte auch früh, dass das auf sie
zukommende Problem kein rein deutsches und auch kein rein jüdisches Problem war. Dies
spiegelt sich auch zum Teil in der Namensgebung der Councel und später der Society wieder.
Trotzdem fürchteten die Mitglieder der Organisation, dass ihre Bemühungen durch
Antisemitismus erschwert werden konnten, so wurde Charles Singer als zweiter „Honorary
Scretary“ abgelehnt, da die Royal Society mit welcher die AAC eng zusammenarbeitete es für
unklug empfand einen Juden an der Spitze der AAC zu haben (Zimmermann 2006 S.31f)
Die AAC beschaffte den geflüchteten Akademikern Grants, mit denen sie zwei Jahre leben
und in diesen zwei Jahren, falls nötig, Englisch lernen und sich auf Stellen an englischen
Universitäten bewerben konnten. Bei der Vergabe der Grants beachtete die AAC vor allem
die Möglichkeit, ob die betreffenden Akademiker eine Stelle finden würden. Hielten sie dies
für wahrscheinlich, gewährten sie die Grants, wobei in Einzelfällen auf bestimmte
Universitäten verwiesen wurde, dies war allerdings nicht die Regel. Viele Chemiker und
Physiker wurden statt an Universitäten an die Wirtschaft verwiesen, wo sie meist besser
bezahlt wurden als ihre Kollegen im akademischen Bereich.
Als die Nürnberger Rassengesetze 1935 erlassen wurden tat sich für die AAC ein großes
Problem auf, da plötzlich zahlreiche Deutsche ihre bis dahin sicher geglaubten Stellen
verloren und sich an die Organisation wandten. Die AAC ging dazu über, Akademiker auch indie USA zu verweisen, da die Aufnahmekapazitäten des Vereinigten Königreichs nahezu
erschöpft waren. Die AAC unterstützte die in die USA auswandernden Akademiker mit den
finanziellen Mitteln für sechs Monate und dem Rat, sich nicht an die hochstehenden
Universitäten zu wenden, sondern z.B. im mittleren Westen an kleineren Universitäten zu
beginnen. Als die AAC 1936 in die SPSL umgewandelt wurde, zog auch die NdW von der
Schweiz nach England um, wo sich die beiden Organisationen zusammenschlossen. (Vgl.
https://www.cara.ngo/who-we-are/our-history/)
Durch den Kriegsausbruch stiegen die Flüchtlingszahlen in einem solches Maß, dass der
englische Staat die Bewältigung der Probleme nicht mehr nur in den Händen freiwilliger
Organisationen belassen konnte, wodurch die SPSL und auch andere Organisationen
finanzielle Unterstützung erhielten. Die SPSL half circa zweitausend vertriebenen
Wissenschaftlern.
Trotz der vielen unermüdlich arbeitenden Menschen die in der SPSL engagiert waren, wird
ein Name oft besonders hervorgehoben. Esther (Tess) Simpson. Sie war Sekretärin der SPSL.
und kümmerte sich um die aus ihrer Heimat vertriebenen Akademiker mit rührender
Einfühlsamkeit und versuchte ihnen die schwere Zeit zum Beispiel durch gemeinsames
Musizieren zu verbessern. Sie setzte sich auch stark für die nach dem Kriegsbeitritt Englands
als ->Enemy Aliens Internierten Akademiker ein. Zunächst bemühte sie sich um eine
Besserung der Zustände in den „Internment Camps“ welche zwar von der britischen Politik
als akzeptabel und sogar luxuriös bezeichnet wurden, dies allerdings nicht der Wirklichkeit
entsprach (Vgl. Chalaging war time Injustment S.7). Während ihrer Hilfeversuche, Stellte
Simpson schnell fest, dass die Behandlung der Flüchtlinge äußerst ungerecht war, da ihre
Einstufung in die Gefahrenklassen und somit die Strenge der Internierung oft zu Harsch
vergeben wurden. Ebenso war für sie keine Einheitlichkeit erkenntlich bei der Frage, welche
gefangenen auf einen Antrag hin frei gelassen wurden und welche nicht, diese Willkür zeigt
erneut auf wie schlecht die -> Enemy Aliens behandelt wurden.
Nach dem Krieg hörte die SPSL nicht auf an der ihr gestellten Aufgabe zu arbeiten und half
weiterhin Akademikern, welche oft aus den im Ostblock entstehenden Regimen vertrieben
wurden. Heute ist die SPSL immer noch unter dem Namen CARA (Councel for Assisting
Refugee Academics) tätig.
Die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland (NdW) wurde 1933 von Phillip
Schwartz in Zürich gegründet. Er gründete die Notgemeinschaft nach seiner eigenen Flucht,
und schaffte es in Zürich, nicht zuletzt aufgrund großzügiger privater Unterstützungen, ein
Büro mit bezahlten und unbezahlten Kräften einzurichten. Viele der Spenden kamen in
späteren Jahren vor allem von Menschen, denen die NdW zuvor geholfen hatte. Die
Notgemeinschaft versuchte, Kontakt mit verschiedenen anderen ausländischen
Hilfsorganisationen aufzunehmen, doch war deren Bereitschaft begrenzt, die eher
unbekannten Wissenschaftler, die sich bei Schwartz gemeldet hatten, auf zunehmen. Die
Notgemeinschaft erhielt im Mai 1933 eine Postkarte, die sie darüber informierte, dass durch
die in der Türkei stattfindenden akademischen Reformen, viele Lehrstühle neu besetzt
werden mussten und dies durch westeuropäische Wissenschaftler geschehen sollte.
Ursprünglich plante die türkische Regierung, Akademiker aus verschiedenen Ländern
abzuwerben, was allerdings nun nichtmehr nötig war, da sie hofften, die entlassenen
deutschen aufzunehmen.
Nach kurzen Rücksprachen und einiger Vorbereitung reiste Phillip Schwartz persönlich nach
Istanbul, wo er sich mit mehreren politisch und akademisch hochrangigen Personen traf
denen er bereits bei diesem ersten Treffen für fast jeden vakanten Lehrstuhl mehrere
Kandidaten vorschlagen konnte. Schwartz beschreibt das Treffen als eine sehr harmonische
und für beide Seiten erfreuliche Begebenheit. Da sowohl Schwartz als auch seine türkischen
Gesprächspartner ein Interesse daran hatten, die deutschen Gelehrten in der Türkei unter zu
bringen. Ebenso hatten beide zuvor die Sorge, dass ihr ursprüngliches Vorhaben scheitern
könnte. (Vgl. Peukert S. 46ff.)
Die bis dahin aufgebaute Vorbereitung und Zusammenarbeit geriet ins Schwanken als der
damalige Bildungsminister, Reşit Galip, im August 1933 zurücktrat und sein Stellvertreter das
Amt übernahm, Schwartz und den Mitgliedern der Notgemeinschaft in Zürich bereitete dies
Sorgen, da sie nun nicht mehr sicher waren, ob die Verträge eingehalten werden würden.
Diese Sorgen heilten allerdings nicht lange an.
Bereits 1933 wurde von Vertretern der AAC eine Umsiedlung der NdW nach London
vorgeschlagen, diese wurde allerdings noch zurückgewiesen, da die NdW fürchtete, nach
außen hin, ihre Unabhängigkeit und „Deutschheit“ verlieren könnte. Diese „Deutschheit“
war ein sehr wichtiger Aspekt der NdW, da sie eine der ersten Anlaufstellen für deutsche
Geflohene war. In dieser Funktion als erste Anlaufstelle bestand auch die Stärke der NdW,
zwar hatten sie keine allzu großen finanziellen Ressourcen, doch konnten sie die Namen der
Geflüchteten an andere Hilfsorganisationen wie die AAC weitergeben Die NdW war hierbei
sehr erfolgreich, den sie war für die Vermittlung von über 2.600 Vertriebenen
verantwortlich. (Vgl. https://www.puk.unifrankfurt.de/75060387/Philipp_Schwartz___der_vergessene_Retter)
Während seiner Gespräche in Istanbul vermittelte Schwartz nicht nur Professuren, ihm
wurde selber eine Professur angeboten, woraufhin übernahm Dr. Fritz Demuth als
Nachfolger von Schwartz übernahm. In seinen Berichten über den Beginn des Lehrauftrags der deutschen Gelehrten schreibt
Schwartz sehr positiv und berichtet von einer Aufbruchsstimmung. Die meisten von
ausländischen Professoren besetzten Lehrstühle waren von Beginn an auf einem guten Weg,
wo hingegen die Medizinische Fakultät größere Schwierigkeiten hatte, sowohl mit dem Bau
der Gebäude als auch mit der technischen Ausrüstung. Von diesen Problemen wurde auch
der Lehrstuhl von Schwartz betroffen. Doch wie in ungewöhnlichen Situationen üblich
konnten die Betroffenen schnell, wenn auch improvisiert, Abhilfe schaffen. Diese Probleme
stammten allerding auch von der schlechten Einstellung mancher Türken gegenüber den
ausländischen Professoren.
Die ausländischen Professoren hatten auch Auflagen zu erfüllen, so sollten sie nach drei
Jahren eine Vorlesung auf türkisch halten, türkische Bücher schreiben und keine
außeruniversitären Arbeiten leisten. Sie wurden meist auf drei oder fünf Jahre angestellt,
weshalb viele nach dieser Zeit bereits wieder aus der Türkei ausreisten und in die
Vereinigten Staaten oder andere Länder zogen. Ihre Lehrstühle wurden dann mit den von
ihnen ausgebildeten türkischen Professoren besetzt.
Die genaue Anzahl der durch die NdW vermittelten Personen ist nicht genau festzustellen,
da neben den bekannten Akademikern auch viele Assistenten, Hilfskräfte und
Familienangehörige mit flohen. Die Zahl der durch die NdW in die Türkei vermittelten
Menschen wird auf rund 1000 geschätzt. (Vgl. Pauli. R S.552)
Neben der direkten Vermittlung einer großen Zahl an Professoren in die Türkei war auch
eine der herausragenden Leistungen der Notgemeinschaft die Veröffentlichung der „List of
Displaced German Scholars“ durch Dr. Fritz Demuth.
Das Emergency Rescue Committee, hier ERC, wurde im Juni 1940 in New York gegründet, um Künstlern, Musikern, Wissenschaftlern und Politikern aus dem besetzen Frankreich nach dessen Waffenstillstand zur Flucht zu verhelfen, da Frankreich sich dem „Großdeutschen Reich“ gegenüber vertraglich verpflichtet hatten, auf Wunsch festgesetzte Verfolgte auszuliefern. Aufgabengebiet sollte die Koordination unterschiedlicher privater Hilfsorganisationen sowie Hilfe beim Einreisen und bei den bürokratischen Aufgaben der Emigration sein. Besonders der 1907 in New York geborene Publizist Varian Fry (1907–1967), Mitbegründer des ERC, erkannte während seiner Tätigkeit als Auslandskorrespondent einen Zuwachs an Antisemitismus in Berlin und machte sich deshalb stark für die Gründung des Committees. Als Kontaktmann des ERS schmuggelte er Flüchtlinge über europäische Küstenländer aus der Gefahrenzone heraus (McClafferty 2008). Hilfe bekam in dieser Zeit der ERC durch First Lady Eleanor Roosevelt und andere einflussreiche Personen aus Politik und Wissenschaft. Fry und Kameraden waren im Vichy-Frankreich aktiv, bis er 1941 ausgewiesen wurde, da sein Handeln zu große Wellen geschlagen hatte und 1942 der ERC in Frankreich verboten wurde. Der ERC und die „International Relief Association“ formierten sich im selben Jahre neu unter der Bezeichnung „International Rescue Committee“ (IRC), gegründet von Albert Einstein, unter welcher sie noch heute aktiv sind. Zu Frys Zeit wurde ca. 4.000 Personen in 1.800 Fällen zur Flucht verholfen.
Das Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars, in diesem Artikel abgekürzt mit ECFS, wurde 1933 in New York von Alfred E. Cohn, Bernard Flexner, Fred M. Stein und Stephen Duggan, mit dem Zweck gegründet, deutschen vom Nazi-Regime vertriebenen Wissenschaftlern eine Arbeitsstelle an amerikanischen Institutionen zu verschaffen. Während ihres 12jährigen Bestehens befand sich das Hauptaufgabengebiet der ECFS im Sammeln von Spenden, im Veranstalten von Benefizveranstaltungen und in der Finanzierung zusätzlicher Lehrstühle für europäische Emigranten an amerikanischen Institutionen. Aufgrund der Aggressionen des Nazi-Regimes ab 1938 benannte sich die Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign German Scholars dann in Emergency Committe in Aid of Displaced Foreign Scholars um und erweiterte so ihr Hilfsangebot auf vertriebene Gelehrte aus ganz Europa. In den Jahren 1936, 1937 und 1941 erstellte auch das Emergency Committee ausführliche Listen mit insg. rund 1600 Namen all deren, die nach ihrem Wissen von den Nationalsozialisten aus rassistischen oder antisemitischen Gründen aus ihrer Stelle entlassen und vertrieben worden waren; publiziert ist diese „List of Displaced German Scholars“ in Strauss, Buddensieg & Düwell (Hrsg.) 1987). Im Juni 1946, also ein Jahr nach dem Ende des Committees, wurden die Dokumente des ECFS an die New York Public Library übergeben (vgl. Stinson 1982 für das Findbuch sowie das Bundesarchiv, BArch R 57/9409 für ergänzende Unterlagen). Aus diesen dort noch heute einsehbaren Unterlagen sowie aus Duggan & Drury (1951) und Archiven geht hervor, dass sich rund 6000 Gelehrte und Künstler bei der ECFS gemeldet hatten u. unter diesen mindestens 335 Personen direkte Unterstützung erhalten hatten, z.T. über viele Jahre lang wie nachfolgende Tabellen zeigen:
Anzahl min. Jahre erhaltener Unterstützung | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 10 |
Anzahl der Personen | 156 | 82 | 46 | 19 | 16 | 13 | 2 | 1 |
Die Jewish Relief Association (JRA) wurde 1934 in Bombay, wobei sie sich in späteren Jahren
auch nach Calcutta und Madaras ausbreitetet, als Jewish aid association (Jüdischer
Hilfsverein) gegründet und später umbenannt. Eines der ersten und führenden Mitglierder
war Alfred W. Rosenfeld. Der in Heilbronn geborene Jude war bereits 1928 wegen seiner
Arbeit als Textilhandelsvertreter in Indien. Er erlangte die britische Staatsbürgerschaft 1933
und floh als einer der ersten Deutschen, mit Hilfe des britischen Passes, nach Bombay und
half später den nachkommenden Flüchtlingen. Es wird davon berichtet, dass er bereits um
Mitternacht am Kai von Bombay gewartet habe um die auf Booten ankommenden
Flüchtlinge willkommen zu heißen und sich um die für die Einreise unentbehrlichen
Formalitäten zu kümmern, welche von der britischen Regierung streng durchgesetzt wurden.
(Vgl. https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/um-mitternacht-am-kai/) Auch
Oscar Gans war lange ein leitendes Mitglied der JRA, der 1888 in Dormagen im heutigen
Nordrhein westfahlen geborene Dermatologe hatte ab 1930 eine ordentliche Professur an
der Universität Frankfurt inne, welche er allerdings 1934 auf Grund des Gesetzes zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verlor. Er wurde zunächst beurlaubt und
anschließend entlassen, also in Frühruhestand versetzt. Bereits vor seiner Versetzung in den
Ruhestand, die erst 1936 geschah emigrierte er nach Indien, wo er Lepraforschung betrieb.
Sein Lebenslauf ist eines der leider viel zu seltenen Beispiele für eine Erfolgreiche
Remigration. Er zog nach Kriegsende wieder zurück nach Deutschland, wo er seine Stelle an
der Universität Frankfurt wieder einnehmen konnte und schließlich auch Dekan und Rektor
wurde.
Die Jewish Relief Association half jüdischen Flüchtlingen bei ihrer Ankunft in Indien finanziell
sowie in sozialen Aspekten. Die Organisation finanzierte sich über die Spenden indischer
Juden, welche oft wohlhabende Unternehmer waren. Die Gemeinschaft hatte 1942 300 und
1945 424 zahlende Mitglieder (Vgl. https://www.cara.ngo/who-we-are/our-history/ ).
Anfangs beschäftigte sich die JRA, wie viele andere Organisationen auch, lediglich damit,
jüdischen Immigranten bei der Ankunft in Indien zu helfen, Beispielsweise bei der Job suche
und der Unterbringung. Später bemühte sich die JRA als offizielles Organ für jüdische
Flüchtlinge in Britisch-Indien zu handeln, was schließlich 1939 gelang. Um ein Visum für
Indien zu bekommen mussten Flüchtlinge nun eine Garantie der JRA vorweisen, welche
wiederum dem Staat garantierte, dass die Flüchtlinge diesem nicht zur Last fallen würden bis
sie Arbeit gefunden hatten. Viele Immigranten fanden bei jüdischen Unternehmern
Anstellung, da die JRA mit vielen Unternehmern eng vernetzt war. Die JRA kümmerte sich
auch um die Kinder der Geflohenen und verhalf diesen zu Schulplätzen. Als die Zahl der
Flüchtlinge weiter stieg entschied sich die JRA dazu, die Unterbringung der Flüchtlinge in die
eigene Hand zu nehmen. Dies wurde durch das Ehepaar Bergwerk besorgt, welches die
beiden Unterkünfte betreute. Wie auch in vielen anderen Ländern wurden deutsch
Ausländer in Indien als -> Enemy Aliens interniert. Auch hier setzte sich die JRA für die
Internierten ein. Indien war für die Auswanderer kein leichtes Exil Land, doch auch hier
zeigten sie ihre Widerstandsfähigkeit.
Eines der frühen engagierten Mitglieder des Emergency Committee, der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Alvin Saunders Johnson (1874–1971), war gleichzeitig erster Direktor der sogenannten „New School“. Diese „New School“ wurde 1919 gegründet als New School for Social Research, um frei und unabhängig Ideen auszutauschen. Sie war nach dem deutschen Modell der Volkshochschulen geformt und behielt auch so eine enge Bindung an die deutsche und europäische Lernethik. Durch Finanzierung von Hiram Halle, einem Großindustriellen, und von der Rockefeller Foundation (s.o.) wurde die „University in Exile“ für Emigranten durch das Nazi-Regime gegründet. Insgesamt 180 Gelehrten und ihren Familien wurden Visas und Arbeitsplätze in der „University in Exile“ bereitgestellt. Besonders in den –> Sozialwissenschaften sorgte die New School mit ihrer besonderen Herangehensweise für Aufmerksamkeit.
Auch für die Emigration in andere Länder wie etwa nach Großbritannien, Schweden oder in die Türkei gab es eigene Hilfsorganisationen (vgl. z.B. Hirschfeld (1983), (1988) sowie Erichsen (1996) über den britischen Academic Assistance Council), bloß war deren Aufnahmefähigkeit für geflüchtete Akademiker zumeist weitaus geringer, so dass Hilfe in diesen Fällen oft nur die Vermittlung temporärer Stellen, Fellowships oder Gastaufenthalte bestand, die den Geflüchteten zunächst einmal die Flucht aus unmittelbarer Gefahr und die Erteilung eines Visums ermöglichte, was diesen dann die Möglichkeit gab, ihre weiteren Emigrationsschritte zu planen und einzuleiten.
Appleget, Thomas: The [Rockefeller] Foundation’s experience with refugee scholars, Typoskript 5. März 1946.
Craver, Earlene: Patronage and the Directions of Research in Economics: The Rockefeller Foundation in Europe, 1924–1938, Minerva 24 (1986): 205-222.
Davie, Maurice R.: Refugees in America. Report of the Committee for the Study of Recent Immigration from Europe, New York/London: Harper & Brothers, 1947.
Duggan, Stephen & Betty Drury: The Rescue of Science and Learning. The Story of the Emergency Committee in Aid of Discplaced Foreign Scholars, New York: Macmillan, 1951.
Erichsen, Regine: Vom Nationalsozialismus vertriebene Wissenschaftler auf dem Markt. Die Arbeitsvermittlung des engl. Academic Assistance Council (SPSL) am Beispiel von Türkeiemigranten, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 19 (1996): 219-234.
Hirschfeld, Gerhard (Hrsg.) Exil in Großbritannien. Zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart: Klett-Cotta 1983.
Hirschfeld, Gerhard: Über den Academic Assistance Council in Großbritannien. In: Edition Text+Kritik 6: Vertreibung der Wissenschaften, 1988: 28-43.
McClafferty, Carla Killough: In Defiance of Hitler, The Secret Mission of Varian Fry, New York: Farrar, Straus & Giroux, 2008.
Röder, Werner & Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933-1945, München: Saur 1980-83, Reprint 1999, insb. Bd. I: Politik Wirtschaft, Öffentliches Leben.
Spalek, John M. & Joseph Strelka (Hrsg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, München: Saur 1976, Reprint 2018, insb. Bd. I: Kalifornien Teil 1 von Wolfgang D. Elfe.
Stinson, John D.: Guide to the Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars Records, New York: New York Public Library Manuscripts and Archives Division, 1982.
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Löhr, Isabella: Solidarity and the Academic Comunity: The Support Network for Refugee
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(letzter Zugriff jeweils 18.05.2022)
https://archive.metromod.net/viewer.p/69/2951/object/5145-11945043
https://frankfurter-personenlexikon.de/node/2355
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https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/um-mitternacht-am-kai/
https://pubs.aip.org/physicstoday/Online/5299/The-scientific-exodus-from-Nazi-Germany
https://www.puk.uni-frankfurt.de/75060387/Philipp_Schwartz___der_vergessene_Retter