Die Schweiz ist ein wichtiges Land für die von 1933 bis 1945 durch die Nationalsozialisten verursachten Emigrationswelle. Rund 1000 Wissenschaftler, Professoren, Schriftsteller, Politiker und andere Gelehrte der knapp 8000 im Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945 erfassten Personen emigrierten durch und über die Schweiz. In diesem Zeitraum lebten zu keiner Zeit mehr als 200 politische Flüchtlinge gleichzeitig in der Schweiz. Die Schweiz war sehr bedacht, ihre Neutralität zu wahren und darum vorwiegend Durchreiseland der deutschen und später auch österreichischen Emigranten. Dafür wurden zwischen 1933 und 1939 häufig außenpolitische Verhandlungen mit dem deutschen Reich getroffen, um die Flüchtlingswellen zu kontrollieren (vgl. (Mittenzwei 1979 Seite 21)
Die nachfolgende Tabelle listet geschätzte Gesamtzahlen der Emigranten in die Schweiz:
Jahr | Gesamtzahlen nach Strauss (1983): S. XX |
---|---|
1933 | c. 10.000 via Badischer Bahnhof Basel, März-Sept. (Deutsche Staatsangehörige) |
1934 | 5.000 |
1935 | 2.000 |
1936 | |
1937 | |
1938 | 3.000 aus Österreich März-April 2.000 illegal (nach April 1938) 3.000 aus Italien (bis Sept. 1938) |
1939 | 2.300 aus Österreich Juli-August 1938) 10.000-12.000 (Ende 1938/Anf. 1939) 5.000 (Sept. 1939), c. 300 Kinder |
1940 | Nur noch wenige |
1945 |
Jahr | Emigrationen | Als erstes Emigrationsland | Als zweites Emigrationsland | Als drittes Emigrationsland |
---|---|---|---|---|
1933 | 326 | 282 | 31 | 13 |
1934 | 85 | 61 | 16 | 8 |
1935 | 77 | 51 | 15 | 11 |
1936 | 52 | 37 | 6 | 9 |
1937 | 57 | 32 | 13 | 12 |
1938 | 215 | 156 | 33 | 26 |
1939 | 88 | 58 | 17 | 13 |
1940 | 10 | 1 | 2 | 7 |
1941 | 3 | 1 | 0 | 2 |
Einzelfälle ab 1942 (bis 45) | 69 | 9 | 23 | 37 |
Ohne Jahreszahl | 39 | 11 | 7 | 21 |
Gesamt | 1021 | 699 | 163 | 159 |
Tabelle mit den im Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945 aufgeführten Emigrationen in die Schweiz aus Wissenschaft, Kunst und Politik.
Seit je her galt die Schweiz als Land mit reicher Asylkultur, welche sich durch ihre zentrale geographische Lage mitten in Europa und seinen Kulturreichtum zu einem idealen Migrationsland entwickelte. Teile der Schweiz sprach Deutsch, war nicht unweit der Heimat entfernt und hatte häufig bereits Kontakte in das Zielland. Obwohl es für Migranten in der Schweiz untersagt war, politisch aktiv zu werden, und es einen schmalen Grad gab für politisch Andersgesinnte gab, sorgten berühmte Gegenbeispiele wie Georg Büchner oder Lenin für eine romantisierte Vorstellung von einem Exil in der Schweiz.
Im Jahr 1933 mussten sich Ausländer laut neuen Verordnungen bei den Behörden melden, welche dann darüber entschieden, ob eine Aufenthaltsgenehmigung bewilligt werden würde oder nicht. Hierbei wurde Fokus auf Stand, Rang und Herkunft gelegt, denn „die Gesetze schrieben vor, dass dabei die geistigen, wirtschaftlichen Interessen sowie der Grad der „Überfremdung“ des Landes berücksichtigt werden müssten“ (Mittenzwei 1979 Seite 20). Auch die, die eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen hatten, durften weiterhin nicht politisch aktiv werden und zusätzlich nicht arbeiten. Ziel war es, die Schweiz zu einem Durchgangsland zu etablieren. Viele Sozialdemokraten und Kommunisten hielten sich nicht an die Gesetze und waren weiterhin politisch aktiv. Als Resultat wurden zwischen 1933 und 1939 70 davon abgeschoben. In der Schweizer Oberschicht hingegen gehörte es zum guten Ton der illegalen Oberschicht der Emigranten Obdach zu gewähren. So konnte man, wenn man die nötigen Kontakte und ausreichend finanzielle Mittel hatte, auf deren Hilfe zählen, man musste allerdings häufiger von Kontakt zu Kontakt springen um nicht entdeckt und abgeschoben zu werden. Besonders viele jüdische Emigranten waren nach 1933 keine Flüchtlinge mehr, da am 7. April durch den Bundesrat beschlossen wurde, dass Juden aus dem „Dritten Reich“ keine politischen Flüchtlinge sind.
Durch die Annektierung Österreichs 1938, und die darauf folgende Flut an Emigranten, reagierte die Schweizer Regierung hart. Österreicher brauchten ein Visum, um in die Schweiz einwandern zu dürfen und die Schweiz forderte eine Möglichkeit, an der Grenze erkennen zu können, wer unliebsam war und wer nicht. Vorschlag war, Pässe von Juden besonders zu markieren. Durch den „Juden-Stempel“ konnten Juden dann auch an den Grenzen sofort erkannt werden. Als 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, verschärfte die Schweiz sämtliche Flüchtlingsgesetze. Jeder Ausländer, der ein- oder durchreisen wollte, brauchte ein Visum. Wer dies illegal tat, wurde „ausgeschafft“, ausgewiesen oder zurückgewiesen, also zurück in sein Land an die Grenze gestellt. Davon ausgenommen waren Kinder, Frauen, Alte und Behinderte. Zwischen 1942 und 1945 wurden ca. 9700 Personen an der Schweizer Grenze zurückgewiesen. Ab 1940 häuften sich die Forderungen, die Flüchtlinge aus den großen Städten und Grenzorten in Lager unterzubringen, da diese das Städte- und Landschaftsbild zerstörten. Ein Jahr später gab es bereits 10 Arbeitslager für diese Flüchtlinge. 1942 schloss die Schweiz dann ihre Grenze vollends, obwohl bereits von der systematischen Tötung in Konzentrationslagern medial berichtet wurde.
Obgleich viele Punkte für längere Aufenthalte in der Schweiz sprachen, sorgte die Schweizer Regierung für einen schnellen Austausch der Flüchtlinge. Sie forderte zu einer schnellen Weiterreise auf und ließ ab 1938 nur noch die einreisen, welche einen Plan zur Weiterreise hatten. Durch diese harte Flüchtlingspolitik blieb größtenteils eine Integration der Flüchtlinge aus. Eine Remigration geschah häufiger.
Jahre | Zahl der Remigranten | Verhältnis Remigranten zur gesamten Emigration |
---|---|---|
1946 - 1949 | 108 | 10,5% |
1950 - 1955 | 58 | 5,5% |
1956+ | 41 | 4% |
Ohne Jahreszahl | 5 | 0,5% |
Gesamt | 212 | 20,5% |
Tabelle mit den im Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945 aufgeführten Remigranten aus Wissenschaft, Kunst und Politik welche während ihrer Emigration in der Schweiz waren (doppelte Remigrationen sind möglich).
Koller, Guido: Fluchtort Schweiz. Schweizerische Flüchtlingspolitik (1933-1845) und ihre Nachgeschichte, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2017.
Krohn, Claus. Dieter: Exilforschung, docupedia online (2012) in: https://docupedia.de/zg/Exilforschung?oldid=85420
Mittenzwei, Werner: Exil in der Schweiz, Frankfurt am Main: Röderberg-Verlag 1979.
Picard, Jacques: Die Schweiz und die Juden 1933–1945 Schweizerischer Antisemitismus, jüdische Abwehr und internationale Migrations- und Flüchtlingspolitik, Zürich: Chronos-Verlag 1994.
Röder, Werner: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933-1945, München: Sauer 1999, I Politik Wirtschaft, Öffentliches Leben.
Schulz, Kristina: Die Schweiz und die literarischen Flüchtlinge (1933-1945) (Vol. 9), Berlin: De Gruyter 2012.
Strauss, Herbert A.: Introduction, in: International Biographical Dictionary of Central-European Emigrants 1933-1950, München: De Gruyter 1983 (Reprint 1999), S. XI-XXVI.
Imhof, Kurt; Ettinger, Patrick; Boller, Boris; Kreis, Georg: Die Flüchtlings- und Aussenwirtschaftspolitik der Schweiz im Kontext der öffentlichen politischen Kommunikation 1938-1950, Zürich: Chronos-Verlag 2001.
Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, Zürich: Chronos-Verlag 2001 (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Bd. 17).