Universität Stuttgart Abteilung Wirkungsgeschichte der Technik, Seite 2

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Tappen schlug dann Anfang Nov. 1914 die Chemikalie Xylylbromid vor, ein flüssiger Augenreizstoff. Diese Chemikalie, nach Tappen als T- Stoff benannt, wurde in Granaten gefüllt und Ende Jan. 1915 an der Ostfront bei Lodz und Bolimow eingesetzt. Der Stoff verflüchtigte sich im Gelände und zeigte wegen der Kälte, die eine Kristallisation auslöste, keine Wirkung.
Falkenhayn war damit unzufrieden und wollte jetzt etwas haben, das die Menschen dauernd kampfunfähig macht. Haber vollzog diesen Schritt: Er schlug der OHL Ende 1914 die Verwendung von Chlorgas vor, das bei passenden Windverhältnissen auf die gegnerischen Stellungen abgeblasen werden sollte. Chlor war als Abfallprodukt in der Farbenherstellung bei der Chemiegroßindustrie in großen Mengen verfügbar.

Wie Hermann Geyer, der als Stabsoffizier von Bauer mit der Durchführung der Gasangriffe beauftragt worden war, später bemerkte, gelang es Haber, "Militär und Zivil, Wissenschaft und Industrie, Heimat und Front, Stäbe und Truppen zu fast ideal zu benennender Zusammenarbeit zu bringen".4
Das Militär im OHL hatte trotzdem Vorbehalte, da die Tauglichkeit dieser neuen Waffe bisher nicht erwiesen war: Die Sondierungen für das Einsatzziel von Chlorgas an der Front dauerten vom 14. Jan. bis zum 25. Jan. 1915, bis in einem Gespräch zwischen dem Generalstabschef der 4. Armee, unter Herzog Albrecht von Württemberg, Generalmajor Emil Ilse und dem Befehlshaber des ihm unterstellten XV. Armeekorps, General Berthold von Deimling, die Wahl auf den Ypernbogen in Flandern fiel.

"Ilse war als Spezialist für schwere Artillerie mit lebhaftem Interesse für technische Neuerungen eine Ausnahme unter den Generalstabsoffizieren. Haber selbst sah in ihm rückblickend den Mann, der den Gaskrieg aus der Taufe gehoben hat, und Ilse war seinerseits der Überzeugung, ohne die genialen Erfindungen des Physikochemikers hätte der Feldzug früh ein unrühmliches Ende gefunden".5

Seit Anfang Januar 1915 wurden nach Habers Plan die ersten Gastruppen aufgestellt und auf dem Schießplatz Wahn in Technik und Taktik des Gasangriffs ausgebildet. Kommandant der Gastruppen war Oberst Peterson. Die Gastruppen wurden als Desinfektionseinheiten getarnt. Sie mussten die Gasflaschen in die Brüstungen der Schützengräben einbauen und von den Ventilen Bleischläuche über den Grabenrand verlegen. Nach gleichzeitigem Öffnen aller Ventile bei passenden Windverhältnissen sollte dann das Chlorgas als zusammenhängende Wolke in die feindlichen Reihen strömen und die Soldaten aus ihren Gräben heraustreiben.

Mit Hilfe von Bauer ließ Haber Wissenschaftler für die Offiziersstellen der Gastruppen abkommandieren, neben Physikern, Chemikern auch die besonders wichtigen Meteorologen. Unter den Wissenschaftlern waren auch spätere Nobelpreisträger, wie Otto Hahn (für Chemie 1944), James Franck (für Physik 1925) und Gustav Hertz (für Physik 1925) sowie weitere namhafte Physiker, wie Wilhelm Westphal (1882- 1978), Hans Geiger 1882- 1945) und Erwin Madelung (1881- 1972). Diese Wissenschaftler waren als sog. Frontbeobachter verantwortlich für den Einbau der Gasflaschen, beim Angriff für das Messen der Gaskonzentrationen, um bei unerwarteten Winddrehungen die eigenen Truppen zu alarmieren.


4 Szöllösi- Janze, Dr. Margit: Fritz Haber. 1868-1934. Eine Biographie. München. 1998. S. 325.
5 ebd. S. 326

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Martin Gutmann


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