Bei der Erfassung und Auswertung der Emigranten in den Jahren 1933-1945 werden sowohl die Bezeichnung Palästina als auch Erez Israel verwendet und werden hier zusammengefasst verwendet.
Die Region Palästina liegt in Vorderasien, an der südöstlichen Küste des Mittelmeers und bezeichnet Teile der Gebiete der heutigen Staaten Israel und Jordanien, einschließlich Gazastreifen und Westjordanland. In einem Teil dieses Gebietes wurde 1949 der Staat Israel gegründet. Israel liegt zwischen dem Mittelmeer im Westen und dem Roten Meer in Süden und dem Jordantal. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches eroberten 1918 die Engländer Palästina und unterstellten es dem "Völkerbundmandat für Palästina". Arabische und türkische Stämme machten vor dieser Zeit den hauptsächlichen Bevölkerungsanteil in der Region aus, das Land war Ende des 19.Jhd. auf dem Stand eines Entwicklungslandes, lag aber strategisch wichtig für die Briten. In Palästina lebten Minderheiten wie Drusen, Armenier, Griechen, deutsche Templer u.v.m. Die Zionistische Bewegung nach Theodor Herzl (ab 1880) wird von den Briten geduldet, die ersten Alijas erfolgten von jüdischen Emigranten aus den osteuropäischen Gebieten wie Russland, Polen etc. Ins Leben gerufene Hilfsorganisationen, wie z.B. der Jewish Colonial Trust bekamen finanzielle Unterstützung u.a. von den Pariser Bankiers Rothschild und amerikanischen Mitgliedern jüdischer Gemeinden. Gelber und Goldstern stellen in ihrem Buch über die Emigration deutschsprachiger Ingenieure nach Palästina 1933-1945 sogar folgende Behauptung auf: „Ohne den Zionismus gäbe es- wenn überhaupt- in Palästina nur eine minimal jüdische Bevölkerung […]. Es gäbe keine Balfour-Deklaration und kein Mandat des Völkerbundes […] und keine Einwandermöglichkeit fliehender […] und aus den Konzentrationslagern befreiten Menschen.“ (Gelber & Goldstern, S. 40)
Im Handbuch der deutschsprachigen Emigration werden für den Zeitraum 1933-1941 60.000 legale Einwanderer für Palästina genannt (26% aller Einwanderungen nach Palästina). Nimmt man die illegal emigrierten hinzu, kann man von 75.000 Einwanderern ausgehen, was ein Drittel aller Einwanderungen in diesem Zeitraum darstellt (Heid S.349). Es werden i.d.R. sechs große Einreisewellen (Alija; pl. Alijot) nach Palästina /Israel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschrieben, wobei die fünfte Alija alle Einreisen im Zusammenhang mit Hitlers Nationalsozialismus beschreibt. Die „Alija Bet“ fasst dann die auf Zypern Internierten und die illegal Eingereisten zusammen.
Alijot | Zeitraum | Einreisende | Ursprungsland |
---|---|---|---|
1. Alija | 1882 bis 1903 | 30.000 | Russland, Rumänien, Osteuropa, Jemen |
2. Alija | 1904 bis 1914 | 37.000 | Russland, Polen |
3. Alija | 1919 bis 1923 | 35.000 | Russland, Polen |
4. Alija | 1924 bis 1927 | 67.000 | Russland, Polen |
5. Alija | 1930 bis 1939 | 250.000 | Polen, Deutschland, Österreich, Rumänien, Griechenland, Jemen und Irak |
Alija Bet | Ab 1932 | 115.000 | Illegal Eingereiste |
Alija Bet | Ab 1932 | 51.000 | Auf Zypern Internierte |
Jugend Alija | Ab 1932 Nach 1945 |
5.000 15.000 |
Kinder aus ganz Europa Holocaustüberlebende Kinder |
Insgesamt | 605.000 | ||
Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts wird durch den Einfluss des politischen Zionismus Palästina bevorzugtes Exilland für Juden, hauptsächlich aus den osteuropäischen Ländern oder dem zaristischen Russland. In diesen Ländern gab es z.T. massive, staatlich verordnete Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung. Der Auftrag des britischen Mandats, das am 24. Juli 1922 vom Völkerbund ratifiziert wurde, war die Hilfe zur „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“. Die britische Mandatsregierung verfügte halbjährlich neue Einwanderungsquoten für Palästina, die über Zertifikate geregelt wurden. Zertifikat „A“ z.B. wurde an Kapitalisten ausgestellt (36%), Zertifikat „C“ an Arbeiter (28%), illegale Einwanderer und Touristen werden mit 26% angegeben. (Gelber S.47) 1922 lebten schon etwa 85.000 Menschen jüdischen Glaubens in Palästina.
Sog. „Chaluzim“, zionistische Pioniere die durch spezielle Vorbereitungskurse, die sog. „Hachschara“, als Handwerker oder Landwirte ausgebildet wurden, konnten jederzeit ein Einwanderungszertifikat nach Palästina erhalten. Auch finanzstarke Immigranten waren willkommen, die sich ein sog. „Kapitalisten-Zertifikat“ leisten konnten. Dazu mussten die Immigranten 1.000 £ in Bar bei der britischen Mandatsregierung vorweisen können. Das sog. Ha´avara-Abkommen von 1933 zwischen der britischen Mandatsregierung, dem Reichswirtschaftsministerium und der Trust and Transfer Office Ha´avara Ltd. ermöglichte es den Einwandernden bis 1939, einen Teil ihres Vermögens nach Abzug einer hohen Abgabe an das Deutsche Reich, nach Palästina zu transferieren. Mit diesen Devisen konnte in Palästina eine mittelständische Wirtschaft ankurbelt werden und eine kaufkräftige Mittelschicht in der Bevölkerung etabliert werden, die nicht vom Staat finanziell abhängig war.
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 7. April 1933 erlassen und erlaubte es den neuen Machthabern im Deutschen Reich, jüdische und politisch missliebige Beamte aus dem Dienst zu entfernen. Dies betraf u.a. auch lehrende und forschende Wissenschaftler, die im staatlichen Dienst in Universitäten, Kaiser-Wilhelm-Instituten oder an Technischen Hochschulen angestellt waren. 631 Wissenschaftler und Gelehrte aus Deutschland emigrierten daraufhin aus Deutschland nach Palästina, insgesamt waren es im ersten Jahr 831 deutschsprachige Wissenschaftler aus dem erweiterten Europa (Palladio-Datenbank).
Warum war Palästina zu dieser Zeit aber ein eher unattraktives Emigrationsland für viele Gelehrte? Das Bildungssystem in Palästina war noch in der Entstehungsphase. Nach der Gründung der Hebräischen Universität in Jerusalem 1918 und des Technion 1924 in Haifa war ein Studium oder eine Lehre zwar schon möglich, dennoch waren die Kapazitäten der Arbeitsstellen für Akademiker oder Studienplätze sehr begrenzt. Die wenigsten Wissenschaftler und Gelehrte hatten zudem eine zionistische Überzeugung, sodass bald ein Witz die deutschen Emigranten empfing: „Kommen Sie aus Überzeugung oder aus Deutschland?“ (Gelber S.33). Zudem erschwerte die Sprachbarriere die Möglichkeit einer akademischen Karriere in Palästina, nur die wenigsten Wissenschaftler sprachen hebräisch und Deutsch wurde als Sprache Hitlers verpönt. Lediglich die Rabbiner (ca. 1%) konnten schneller im Land Fuß fassen.
Ein besonderer Fokus liegt bei der Emigration Technikern/ Ingenieuren und Mediziner, da es für diese Berufsgruppen in Deutschland kaum noch Betätigungsmöglichkeiten gab, ihre Befähigungen in Palästina aber dringend gebraucht wurden.
Die berufliche Integration in Israel war gerade für viele deutsche Akademiker aufgrund der Sprachbarrieren enorm schwierig. Durch das 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums war Beamten und Wissenschaftlern in Deutschland die Lebensgrundlage in der Heimat entzogen worden und eine Emigration wurde unumgänglich. Deutsch war in Palästina als Sprache Hitlers verboten und die wenigsten Akademiker oder Beamten konnten Hebräisch lesen, schreiben oder sprechen. Oftmals findet deshalb mit der Einwanderung auch ein sozialer und gesellschaftlicher Abstieg statt, viele aus dem gehobenen, bürgerlichen Mittelstand mussten sich als Landwirte oder auf dem Bau verdingen. Daher war Palästina oftmals nicht das bevorzugte Auswanderungsland für deutsche Wissenschaftler, Geistliche oder Akademiker. Von den annähernd 8000 erfassten Wissenschaftler, Mediziner, Rabbiner etc. sind 1.141 nach Palästina ausgewandert (ca. 14%).
Für die Bestimmung der nach Palästina eingewanderten Ingenieure und Techniker (hierzu zähle ich auch die Architekten) gibt es keine exakten Zahlen, man geht von ca. 0,75% aller Emigranten aus. Bei insgesamt 95.000 deutschen Emigranten ergibt das 712 Ingenieure (Gelber, S.55-56). Diese Zahl schätzt Yoav Gelber anhand der Zahlen in andere Länder wie z.B. Großbritannien mit 800 (1% aller Immigranten), USA mit 325 (0,75%). Erschwerend für die genaue Erfassung kommt hinzu, dass die Berufsgruppe oftmals im Handbuch der deutschsprachigen Emigration unter „freien Berufen“ oder „Industrie und Handwerk“ geführt wurden. Die meisten Ingenieure reisten zudem mit einem Handwerker-Zertifikat ein, da diese oftmals auch eine Ausbildung dahingehend hatten. Immer mehr Palästinaeinwanderer benötigten Nahrung, Kleidung, Wohnungen und medizinische Versorgung. Deutsche Ingenieure beteiligten sich beim Aufbau der dafür nötigen Infrastruktur und hier zeigte sich der enorme Wissenstransfer der hochspezialisierten Wissenschaftler und Ingenieure. Die meisten Projekte mussten von einem Nullpunkt an durchdacht werden, das Material und die Logistik geplant und dann auch ausgeführt werden (alle hier gemachten Angaben aus Gelber &Goldstern, S. 87 ff.). So musste z.B. die noch nicht existente Elektrizitätswirtschaft von Grund auf neu geplant und verwirklicht werden: • Kraftwerksbau, Turbinenbau • Fernkabel für Kommunikation und Elektrizität, • Sendemasten für Radio und Radar Weitere Infrastruktur, die oft nicht vorhanden war: • Befestigte Verkehrswege, • Wasserversorgung, • Stadt- und Verkehrsplanung, • Siedlungsbau für Einwanderer. Industrie und Landwirtschaft: • Textilindustrie • Chemie / Kali und Phosphatwerke für die Düngerherstellung • Landwirtschaft, Brauereien, Lebensmittelproduktion, • Medizintechnik, Maschinenbau • Metallverarbeitung und Schwerindustrie Ein großer Beitrag zur Ausbildung der benötigten Fachkräfte für den strukturellen Aufbau des Landes leistete das 1924 als technische Universität etablierte Technion. Viele Akademiker, die 1933 ihre Anstellung im Dritten Reich verloren hatten, waren in Palästina hochwillkommen und ihre Arbeit stieß hier auf eine breite Akzeptanz. Sie vermittelten ihre Kenntnisse aus den unterschiedlichsten technischen Fachbereichen, vertieften ihre Arbeit oder brachten gänzlich neue Innovationen hervor: • Elektrotechnik, • Elektronenmikroskop, • Elektromedizinische Geräte, Akustik • Radar, • Metallurgie, • Maschinen- und Turbinenbau • Baustatik (unkonventioneller Bauten) Durch diese fruchtbare Weitergabe von Wissen und die Arbeit vieler engagierter, meist zionistisch orientierter Wissenschaftler wurde aus einem Stall aus der Türkenzeit eine weltweit anerkannte technische Universität: ein gelungenes Beispiel von Wissenstransfer.
Vor und während der britischen Mandatsregierung gab es so gut wie keinerlei Gesundheitssystem für jüdische Siedler in Palästina. 1909 gab es lediglich 27 Ärzte, die die Pioniere auf eigene Gefahr begleiteten. Es galt Epidemien und Krankheiten wie Malaria, Typhus oder Trachoma zu bekämpfen. Das für die europäischen Einwanderer ungewohnt heiße Klima und die meist sehr schwere körperliche Arbeit forderte oft einen gesundheitlichen Tribut bei den Siedlern. Daher wurde schon in den 1920 das Gesundheitssystem über die zionistische Frauenorganisation Hadassah und der Krankenkasse der allgemeinen Arbeitergewerkschaft Kupat Holim organisiert. (Doron S.150ff) Die im ganzen Land erbauten Krankenhäuser unterstanden der Hadassah. Die Leitung wurde von Beamten übernommen und die Ärzte waren angestellt. Es war ihnen strikt untersagt, private Praxen zu eröffnen. Die Gewerkschaften hingegen organisierten die Krankenkassen und die dezentrale ärztliche Versorgung in den Siedlungsgebieten.
Nach der Machtergreifung war für viele Mediziner eine Berufsausübung in Deutschland oder den angegliederten Ländern nicht mehr möglich. Jüdische Professoren, Dozenten und Mitarbeiter der medizinischen Fakultäten wurden aus ihren Ämtern und Anstellungen entlassen. Die bereits praktizierenden Ärzte mussten ihre Praxen schließen, jüdischen Medizinstudenten wurde die Zulassung zum Rigorosum und zur Approbation verweigert.
Da es in Palästina keine medizinische Fakultät gab, war das Land auf fertig ausgebildete Einwanderer angewiesen. In den Jahren 1933-1940 emigrierten 686 (ca. 29%) deutschsprachige Mediziner nach Palästina, 1057 (45%) emigrierten in die USA und 264 (11%) nach Großbritannien (Kröner 1989, Tabelle7).
In Palästina sahen sich die Mediziner aber einer gänzlich anderen Gesundheitsorganisation gegenüber, als Sie es in Deutschland gewohnt waren. Trotz der verschärften Einwanderungsbedingungen der Mandatsregierung und fehlender Arbeitsmöglichkeiten für praktizierende Ärzte war Palästina nach 1933 an zweiter Stelle der Einreiseländer für Mediziner. Dieser Ärzteüberschuss und die strikten Zulassungsbestimmungen führten auch dazu, dass viele Mediziner dann wissenschaftlich arbeiteten (Kröner 1989, S. 18).
Ludger Heid: Palästina/ Israel. In: Krohn Claus-Dieter u.a.: Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 2. Aufl. 2008: 349-357. Hans-Peter Kröner: Die Emigration deutschsprachiger Mediziner im Nationalsozialismus. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 12 (1989): 1-44. --: Zwischen Arbeitslosigkeit und Berufsverbot: Die deutschsprachige Ärzte-Emigration nach Palästina 1933-1945. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 14 (1991): 1-14. Doron Niederland: Deutsche Ärzte-Emigration und gesundheitspolitische Entwicklung in "Eretz Israel" (1933-1948). In: Medizinhistorisches Journal 20 (1985): 149-184. --: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien und in Palästina. In: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945. Frankfurt a.M.: Röderberg 1981.
https://www.bpb.de/internationales/asien/israel/44987/shoah-und-einwanderung (Abgerufen am 17.1.2022)
https://www.bpb.de/internationales/asien/israel/44941/was-ist-zionismus (Abgerufen am 17.1.2022)
https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Herzl (Abgerufen am 17.1.2022)
https://de.wikipedia.org/wiki/Israel (Abgerufen am 10.1.2022)
https://de.wikipedia.org/wiki/Alija (Abgerufen am 10.1.2022)