Emigration und Exil von Wissenschaftlern und Ingenieuren 1930-1950


Türkei



Inhaltsverzeichnis

Übersicht zum Thema: Zahlen zum Einstieg
Emigration ab 1933
Bildungsreform ab 1932 in der Türkei
Wer emigrierte in die Türkei?
Situation im Aufnahmeland
Remigration und Weiterreise
Der Mythos der Türkeiemigration
Zitierte Literatur
Websites


Übersicht zum Thema: Zahlen zum Einstieg



Zwischen 1933 und 1944 emigrierten ca. 700-800 Menschen aus Deutschland und Österreich in die Türkei, darunter ungefähr 300 Frauen (Erichsen 2005: 339). Für ca. 200-300 der Einreisenden war es nur ein Transit-Aufenthalt vor der Weiterreise in ein anderes Land wie bspw. die USA oder Großbritannien, die anderen blieben die meiste Zeit ihrer Emigration in der Türkei.

Im Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933–1945 (hrsg. v. Röder & Strauss 1980-83, reprint 1999) sind insgesamt 127 Fälle unter den insg. ca. 300 Akademikern erfasst, deren Emigration in die Türkei sich über die Jahre wie folgt verteilt:



Jahr                Emigrationen                Als erstes Emigrationsland                Als zweites Emigrationsland                Als drittes Emigrationsland               
1933 32 29 3 0
1934 22 13 7 2
1935 18 14 2 2
1936 12 9 2 1
1937 15 8 6 1
1938 9 5 3 1
1939 8 4 2 2
1940 4 0 2 2
1941 2 0 1 1
Einzelfälle ab 1942   5 2 1 2
Ohne Jahreszahlen 1 1 0 0
Gesamt 127( davon 26 aus Österreich) 85 29 13


Emigration ab 1933



Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie bspw. Großbritannien, gab es vor 1933 kaum nennenswerte Fälle von Migration in die Türkei. Erst 1933 wurde es ein relevantes Zufluchtsland für eine spezielle Gruppe von Emigranten aus den deutschsprachigen Gebieten, vor allem für Akademiker. Für andere Emigranten, besonders für Juden, wurde die Einreise von türkischer Seite aus erschwert oder verhindert (Erichsen 1998: 426 und Omar 2020: 3053).

In der Schweiz gründeten 1933 Wissenschaftler und Hochschullehrer die sogenannte „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“, eine selbstständige Hilfs-organisation, die unter der Leitung des Mediziners Philipp Schwartz entlassene Wissenschaftler, Hochschullehrer und Professoren unterstützte, ins Ausland zu emigrieren. Bis 1937 konnten insgesamt 1702 Personen „betreut“ werden.

Einer der ersten Erfolge der Hilfsorganisation war eine erfolgreiche Verhandlung mit der türkischen Regierung im Juli 1933: es konnte eine vorläufige Abmachung über 58 Anstellungen deutscher Professoren und Wissenschaftler an der Universität Istanbul abgeschlossen werden. Sie sollten an insgesamt 30 Abteilungen der Fakultäten der Naturwissenschaften (27), der Medizin (20), der Rechtswissenschaften (8) und der Literatur (3) unterrichten (Widmann 1973: 236-238, Omar 2020: 3049).

Verträge kamen letztendlich mit 14 vorgeschlagenen Dozenten zustande (namentlich Schwartz; Julius Hirsch; Braun; Nissen; Melchior; Igersheimer; Prager; Dember; Courant; Freundlich; Brauner; Strupp; Honig; Neumark; Reichenbach). Die anderen hatten entweder doch kein Interesse, inzwischen Alternativen gefunden, oder wurden von türkischer Seite verworfen (Widmann 1973: 59).

Teil der Verträge war die Festlegung eines festen Gehalts von umgerechnet ca. 1000 Reichsmark monatlich, die Übernahme der Spesen für Reisekosten und Umzug und das Versprechen einer festen Anstellung auf 5 Jahre. Die deutschen Wissenschaftler sollten im Gegenzug türkisch lernen und ihre Fachbücher von nun an auf Türkisch schreiben. Für den Anfang wurden jedoch Übersetzer zur Verfügung gestellt, was den Einstieg erleichterte (Cremer; Przytulla 1991: 20f). Diese Toleranz gegenüber der deutschen Sprache und Kultur war bei weitem nicht in allen Emigrationsländern zu finden; bspw. in Südamerika, genauer gesagt Brasilien, war es ab 1938 verboten, auf Deutsch zu veröffentlichen. Die Einreise in die Türkei von (fast allen) Neu-Angestellten erfolgte bereits im September 1933, also nur knapp 2 Monate nach Abschluss der Verträge.

1935 gelang es Schwartz, einer weiteren Gruppe von Dozenten aus Deutschland und Österreich Berufungen in der Türkei zu ermöglichen. Spätestens ab etwa 1938 flaute die Anzahl neuer Einreisen wieder deutlich ab (Erichsen 1998: 428).



Bildungsreform ab 1932 in der Türkei



Grund für Möglichkeit dieser umfangreichen Anstellungen von deutschsprachigen Hochschullehrern war eine Universitätsreform in der Türkei, die ab 1932 unter Präsident Atatürk durchgeführt werden sollte (Omar 2020: 3047f.). Der Untergang von Konstantinopel 1390 und die anschließende Migration der damaligen Wissenschaftler galt als großer wissenschaftlicher Verlust des Osmanischen Reiches. Die meist nach Italien abgewanderten Gelehrten waren ausschlaggebend für den Beginn der Renaissance und damit des „modernen“ westeuropäischen Hochschulwesens. Die Reform unter Atatürk sollte nun diese Wissensmigration „ausgleichen“ und das Bildungswesen der Türkei wieder stärken.

Die Aufnahme der mitteleuropäischen Professoren wurde aus türkischer Sicht wie ein nachträglicher Wissensausgleich angesehen, wie bspw. ein Zitat von Minister Resit Galip gegen Ende der Verhandlungen mit Schwartz zeigt: „Heute haben wir uns vorbereitet, von Europa eine Gegengabe zu empfangen. Wir erhoffen eine Bereicherung, ja eine Erneuerung unserer Nation. Bringen Sie uns Ihr Wissen und Ihre Methoden, zeigen Sie unserer Jugend den Weg zum Fortschritt. Wir bieten Ihnen unsere Dankbarkeit und unsere Verehrung an.“ (Widmann 1973: 56 und Omar 2020: 3048)

Für die von der „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ Vermittelten waren Lehraufträge überwiegend an der westlich orientierten Universität in Istanbul vorgesehen. Diese konnte nur aufgrund oben erläuterter Dozentenanstellungen neu gegründet werden und blieb bis 1944 die einzige säkularisierte Universität der gesamten Türkei. Einzelne Dozenten kamen auch an der Hochschule Ankara unter, was den Ausbau zur Universität 1946 ermöglichte (Erichsen 1998: 427)



Wer emigrierte in die Türkei?



Unter den insgesamt ca. 700-800 Menschen, die in die Türkei emigrierten, waren etwa 200 Professoren zu finden, die oft mit ihrer gesamten Familie ausgewandert waren. Diese Schätzung beinhaltet auch die ca. 300 Frauen (Erichsen 2005: 339); zusammengerechnet kommt man im Rückschluss in etwa wieder auf die Gesamtzahl (Omar 2020: 3049).

Fachlich fanden sich unter ihnen hauptsächlich Vertreter der Medizin (54) und der Naturwissenschaften (40), aber auch Historiker, Philosophen, Philologen, Politikwissenschaftler, Architekten und Musiker waren dabei, wenn auch deutlich weniger. In der demographischen Verteilung lag der Fokus auf den ca. 50-Jährigen, absteigend gefolgt von einem Alter von 40 und dann 30 Jahren.

Zusätzlich waren auch ungefähr 70 Universitäts-Assistenten und Lektoren eingewandert, durchschnittlich etwa 20-30 Jahre alt. Die Assistenzstellen an den neuen Universitäten wurden jedoch überwiegend mit einheimischem Personal besetzt, wodurch es für sie deutlich schwieriger war, eine Anstellung finden. Außerdem war es ihnen verboten, in der Türkei zu habilitieren, um den dortigen Studenten keine Konkurrenz zu machen. Die meisten dieser Lektoren reisten relativ bald in die USA weiter, in der Hoffnung, dort als wissenschaftlicher Nachwuchs Arbeit finden zu können (Erichsen 1991: 73; Erichsen 1998: 427 und Widmann 1973: 178).



Situation im Aufnahmeland



Durch die Ankunft (fast aller) Neu-Angestellter im September 1933 war ein Semesterbeginn der neu gegründeten Universität Istanbul direkt im November möglich. In den provisorisch, weil zügig eingerichteten Lehrräumen unterrichteten nun die Professoren den ersten Jahrgang der neu gegründeten Universität (Cremer; Przytulla 1991: 22). Hilfe beim Übersetzen boten meist junge türkische Akademiker. Sie waren 1933 nach ihrem durch die Türkei finanzierten Studium aus Deutschland zurückgekehrt und beherrschten sowohl beide Sprachen als auch genügend Fachwissen zur exakten Vermittlung der Inhalte (Erichsen 1998: 432).

Unter den emigrierten Professoren und ihren Familien herrschte überwiegend sehr hohe Zufriedenheit; sie wurden freundlich und umgänglich willkommen geheißen und insgesamt gut aufgenommen, da sie von der Regierung erwünscht wurden. Diese Wertschätzung schlug sich auch in der „einfachen“ Bevölkerung nieder, die hilfsbereit ihre Unterstützung anboten.

Nichts desto trotz war das Gefühl von wissenschaftlicher Isolierung nicht zu leugnen, was unter anderem daran lag, dass die Wissenschaft in der Türkei nach der jahrelangen Tief-Phase erst wieder neu aufblühte; es gab (vor Allem zu Beginn) nur unzureichend Zugang zu westlicher wissenschaftlicher Literatur, und die Labore waren unvollständig ausgestattet. Außerdem kam erschwerend hinzu, dass ein wissenschaftlicher Austausch hauptsächlich mit Mit-Emigranten in der Türkei möglich war, da Kontakt nach Deutschland bzw. Österreich oder zu Kollegen in andere Länder kaum umsetzbar war. Auch der entgegengebrachte Neid auf die besetzten Anstellungen durch (scheinbar) heruntergestufte, traditionelle türkische Hochschullehrer war deutlich zu spüren (Erichsen 1991: 73 und Dahms 1988: 1019).

Bis 1944 gab es zwischen Deutschland und der Türkei „freundschaftliche“ Handels- bzw. Wirtschaftsbeziehungen. Das äußerte sich unter anderem in der Entsendung deutscher Facharbeiter in die Türkei: waren 1935 es „nur“ 200, so arbeiteten hier 1939 insgesamt 2000 Deutsche. Wichtig ist hierbei, dass es sich bei diesen Leuten nicht um Emigranten handelte, sondern um (meist) Hitler-treue Arbeiter im Ausland, die unter einem eigenen Gauleiter organisiert wurden. Das schuf ein ganz neues Problem für die in der Türkei lebenden Emigranten, mit dem auch die Emigranten in Südamerika zu kämpfen hatten. Als Emigranten waren sie zahlenmäßig deutlich in der Minderheit, und sie stimmten nicht mit der NS-Ideologie überein. Einzelne der „Reichsdeutschen“ in der Türkei versuchten, sowohl Bevölkerung als auch Regierung aktiv gegen die Emigranten aufzuheizen (Cremer; Przytulla 1991: 34). Nicht nur deshalb mussten sich die Emigranten eindeutig und für die Türken nachvollziehbar von den Reichsdeutschen abgrenzen, das beide Gruppen häufig als einheitliche Gruppe, die „Deutschen“, gleichgestellt wurden. Bei von türkischer Seite entgegengebrachten Freundlichkeiten konnten sie nie sicher sein, ob die Sympathie ihnen selbst oder der nationalsozialistischen Ideologie galt (Erichsen 1991: 77f.; Erichsen 1998: 428 und Mangold-Will 2014).



Remigration und Weiterreise



Die Türkei hatte keine Kapazitäten, die Emigranten im Lande zu halten (im Gegensatz zu z.B. USA), und teilweise auch kein Interesse daran. Zeitweise gab es Misstrauen gegenüber den Fremden, und aus Sicht der Regierung war der Auftrag von Unterrichtung der Jugend als ausreichend erfüllt angesehen worden. Insgesamt verließen fast alle Emigranten die Türkei bis 1956 wieder.

Weggang emigrierter Professoren (nur Professoren) (Widmann 1973: 173)
(in Türkei verblieben: 6 (inklusive Assistenten); verstorben: 18)


Jahr                   USA                D bzw. Ö                Andere Länder
1934-1939 12 0 7
1940-45 2 0 3
1945-50 8 2 3
1950-56 1 20 0
Nach 1956 0 2 1
Insgesamt 23 24 14


Aus den Daten gehen deutlich zwei große Wellen hervor. Zum einen herrschte von 1939 bis 1950 eine Abwanderung überwiegend in die USA vor, zum anderen ab 1950 überwiegend eine Remigration in die ursprünglichen Heimatländer in Mitteleuropa. Diese beiden großen Wellen lassen sich nach Widmann (1973: 168-174) nochmals in insgesamt 4 kleinere Phasen gliedern:

In der ersten Phase ab 1934, vor allem aber im Jahr 1939 mit Beginn des zweiten Weltkrieges verließen die ersten Emigranten die Türkei wieder, um in andere Länder wie die USA (so etwa der Mathematiker Richard von Mises oder der Philosoph Hans Reichenbach) oder in Einzelfällen (bspw. Erwin Freundlich) nach Großbritannien weiterzureisen (Schwartz 1995, Irzik 2011, Roure 2021).

Hervorgerufen wurde die Phase zum Teil durch Rufe an amerikanische Universitäten, denen einige Professoren folgten. Doch auch bei einer Nicht-Verlängerung der Anstellungsverträge in der Türkei hofften einzelne auf bessere Bedingungen und günstigere materielle Umstände in Nordamerika. Außerdem gab es vereinzelt Pressekampagnen gegen die deutschsprachigen Emigranten im Land, und auch die Angst vor deutschen Truppen, die sich nach der deutschen Balkanfeldzug 1941 der Türkei nähern könnten, sowie ein möglicher Kriegseintritt der Türkei auf deutscher Seite waren Gründe dafür.

Von 1939 und 1941 nahmen außerdem einige der Bleibenden dankbar die türkische Staatsbürgerschaft an, die ihnen nun angeboten wurde, da sie als Juden unter Umständen ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren; genaue Zahlen sind leider nicht bekannt (Erichsen 1998: 429).

Die zweite Phase zwischen 1940 und 1945, also während des zweiten Weltkrieges, ist vor allem durch die erschwerten Weggang-Bedingungen deutlich abzugrenzen; eine Ausreise war nur nach Israel, Ägypten oder zurück nach Deutschland bzw. Österreich möglich. Außerdem kam in dieser Phase dazu, dass ab 1944 Internierungen in der Türkei drohte, wenn man kein Volljude und damit nicht offiziell anerkannter Emigranten war.

Unmittelbar nach Kriegsende begann die dritte Phase; jetzt war ein Weggehen wieder ermöglicht. Durch eine Welle von Entlassungen bzw. Nicht-verlängerungen von Anstellungen an der Hochschule Ankara 1948 gab es nun erneut eine Weiterreise in die USA. Hinzu kamen vereinzelt erste Rückkehrer nach Mitteleuropa, zurück in die Heimatländer.

Die vierte und letzte Phase findet sich in der ersten Hälfte der 50er Jahre. Im Zuge der allgemeinen Remigrationswelle gab es gelegentlich Rückrufe an die deutschen bzw. österreichischen Heimat-Universitäten, die größtenteils angenommen wurden. Ein weiterer Grund zur Remigration war das Problem der Altersvorsorge; es war nicht möglich, im Ausland deutschen Pensionsbezüge zu beziehen. Eine Rückkehr war also manchmal auch aus finanziellen Gründen notwendig. Vereinzelt kam es zur Gegenemigration, bei der in Deutschland gebliebene Dozenten wegen ihrer Nähe zur NS nach Ende des Krieges in der Türkei die Lehrstühle übernahmen, die ihre nach Deutschland remigrierten Vorgänger hinterließen. (Erichsen 1998: 429)

Während des Aufenthaltes in der Türkei wurde das Land oft als „zweite Heimat“ angenommen. Einzelne der Emigranten, die nach Ende des zweiten Weltkrieges nach Deutschland zurückgegangen waren, kehrten nach ihrer Pension in der BRD zurück in die Türkei zu ihren dortigen Freunden und Kollegen. Die wenigen, die in der Türkei geblieben waren, wurden mit Berufungen in Regierungskommissionen, Ordensverleihen, Ehrendoktorwürden und z.T. sogar mit Staatsbegräbnissen geehrt (Cremer; Przytulla 1991: 42ff.).



Der Mythos der Türkeiemigration



Interessant ist, dass die Emigration in die Türkei sehr häufig als sehr positiv, zum Teil sogar idealisiert dargestellt wird – und zwar sowohl von türkischer Seite als auch seitens der Emigranten.

Zur Veranschaulichung ein Beispiel:

In der Literatur wird gerne die Rede zum 10-jährigen Bestehen der Universität Istanbul 1943 von Tevfik Saglam (Rektor) zitiert: „Die neuen Universität nur mit Türken zu gründen war nicht möglich. Daher wandte sich die Regierung, um eine sehr berechtigte und treffende Maßnahme zu veranlassen, an das Ausland und erhielt von dort Kräfte, die zu dieser Arbeit fähig waren. Es erleichterte die Arbeit, dass sich in der Zwischenzeit einige bedeutende Professoren gezwungen sahen, Deutschland zu verlassen.“ (Cremer; Przytulla 1991: 31)

Weggelassen werden die nachfolgenden Sätze, in denen deutlich kritische Töne mitschwingen: „Da jedoch die Auswahl unter schwierigen Bedingungen und vor alle in sehr kurzer Zeit gemacht werden musste, zeigte sich später, dass man bei einem Teil der Kräfte die gewünschte Qualifikation nicht hatte finden können.“ (Widmann 1973: 186) Die darauffolgenden Sätze wiederum sind überwiegend positiv. Doch durch bestimmte Auswahl in der Zitation wird, bewusst oder unbewusst, die Emigration in die Türkei weiter glorifiziert.

Grund dafür ist vermutlich der wechselseitige Nutzen, den beide Seiten erfahren konnten. Für die Türkei bedeutete die Emigration von deutschsprachigen Hochschullehrern die Chance, bildungstechnisch an die westeuropäische Wissenschaftstradition anschließen zu können, und für die Emigranten selbst bedeutete es Schutz vor dem NS-Regime für sich und ihre Familien und gesicherte Arbeitsverhältnisse in einer schwierigen Zeit.

Dieser „Mythos von der Türkeiemigration“ ist laut Erichsen (1991: 74) im deutsch-türkischen Gespräch ein wichtiges Element, das bis heute eine große Wirkung auf die Länder-Freundschaft ausübt, sowie Ausdruck der Dankbarkeit beider Seiten.

Dennoch ist die tatsächliche Situation deutlich vielschichtiger gewesen und lässt sich nicht pauschalisieren, was bei der Auseinandersetzung mit dem Thema immer im Hinterkopf mitgedacht werden muss.



[MK]


Zitierte Literatur



Cremer, Jan; Przytulla, Horst: Exil Türkei. Deutschsprachige Emigranten in der Türkei 1933-1945, München, 2. Aufl. 1991.

Dahms, Hans-Joachim: Die Türkei als Zielland der wissenschaftlichen Emigration aus Österreich. Ein Überblick. In: Friedrich Stadler (Hrsg.) Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, Wien & München 1988: 1017-1020.

Erichsen, Regine: Die Emigration deutschsprachiger Naturwissenschaftler von 1933 bis 1945 in die Türkei in ihrem sozial- und wissenschaftshistorischen Wirkungszusammenhang. In: Strauss, Herbert A. u.a. (Hrsg.): Die Emigration der Wissenschaften nach 1933. Disziplingeschichtliche Studien, München u.a. 1991: 73-104.

---: Türkei, in: Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998: 426-434.

---: Das türkische Exil als Geschichte von Frauen und ihr Beitrag zum Wissenschaftstransfer in die Türkei von 1933 bis 1945, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 28 (2005): 337-353.

Grothusen, Klaus-Detlev (Hrsg.): Der Scurla Bericht. Bericht des Oberregierungsrates Dr. rer. pol. Herbert Scurla von der Auslandsabteilung des Reichserziehungsministeriums in Berlin über seine Dienstreise nach Ankara und Istanbul vom 11. – 25. Mai 1939: „Die Tätigkeit deutscher Hochschullehrer in der Türkei 1933-1939“ (= Schriftenreihe des Zentrums für Türkeistudien. Band 3), Frankfurt 1987.

Irzik, G.: Hans Reichenbach in Istanbul, Synthese 181 (2011): 157-180.

Omar, Yousef: The German scholars of Jewish origin in Turkey 1933-39, Turkish Studies 15,7 (2020): 3043-3060.

Roure, Pascale: Logical empiricism in Turkish exile: Hans Reichenbach’s research and teaching activities at Istanbul University (1933-1938), Synthese (2022): 200-265.

Schwartz, Philipp: Notgemeinschaft. Zur Emigration deutscher Wissenschaftler nach 1933 in die Türkei, Marburg: Metropolis-Verlag 1995 bzw. durchgesehene Neuaufl. , hrsg. v. Helge Peukert 2021.

Widmann, Horst: Exil und Bildungshilfe. Die deutschsprachige Emigration in die Türkei nach 1933. Mit einer Bio-Bibliographie der emigrierten Hochschullehrer im Anhang, Frankfurt 1973.



Websites (letzter Zugriff jeweils am 14.1.2022):



https://de.wikipedia.org/wiki/Exil_in_der_T%C3%BCrkei_1933%E2%80%931945

https://tuerkei.diplo.de/tr-de/themen/kultur/-/1670094

https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/184978/deutsche-im-exil-tuerkei