Kunstgeschichte, so beschreibt der 1892 in Hannover geborene und 1968 in Princeton gestorbene Erwin Panofsky das Fach, befasst sich mit den von Menschen geschaffenen Kunstwerken, die in einer langen Tradition erforscht und interpretiert werden. (Panofsky (1953), S. 83-85, Beyer (2012), S. 430) Mit Blick auf die historische Entwicklung erfuhr diese Disziplin in der Zeit des Nationalsozialismus einen Wandel und wurde auf eine Probe gestellt. Dies führte dazu, dass die deutschsprachigen Kunsthistoriker/innen unter der Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten litten. Der zeitgenössische deutsche Kunsthistoriker Heinrich Lützeler (1902-1988) argumentierte apologetisch, dass die Kunsthistoriker/innen mit der Machtübernahme 1933 nicht in der Lage gewesen seien, dem damit einhergehenden politischen Terror zu widerstehen, da es unter dieser Regierung keinen persönlichen Handlungsspielraum gab und somit keine individuelle Verantwortung für Handlungen übernommen werden konnte. (Doll, u.a. (2005), S. 9). In den Augen anderer Historiker ergaben sich während der NS für die in Deutschland verbliebenen Geisteswissenschaftler unvermeidbar verschieden starke „Kollaborations¬verhältnisse“, die sie zu mehr oder weniger starker Anpassung an das NS-System brachten. (Mehrtens 1994, Hausmann 2011) Wissenschaft und Politik waren „Ressourcen für einander“. (Ash 2002) Angesichts dieser Ausgangslage kam es vor 1945 einerseits zu einer heroisierenden Darstellung der Fachgeschichte, die nationalistische Werke in den Vordergrund stellte. Gleichzeitig bemühten sich Fachkollegen im selben Zeitraum um die solidarische Verbundenheit mit politisch belasteten Kollegen und somit um die Aussöhnung mit emigrierten Wissenschaftlern. (Papenbrock (2008), S. 26f.) Des Weiteren setzte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs neben weiteren Versöhnungsbemühungen ebenfalls noch eine kritische kunsthistorische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ein. (Papenbrock (2008), S. 27-29).
Die nationalsozialistische Diktatur hat die Kunstgeschichte und deren Akteure eingeschränkt und verändert: Ein beträchtlicher Teil der deutschsprachigen Kunsthistoriker/innen verlor aufgrund des NS-Regimes ihre berufliche Stelle. (Doll, Fuhrmeister, Sprenger (2005), S.15f.; Michels, Wendland (2008), S. 762) Karen Michels und Ulrike Wendland weisen in ihrem Beitrag in der 2. Auflage des Handbuchs der deutschsprachigen Emigration 1933-1945 darauf hin, dass im Bereich der Kunstgeschichte mindestens 252 deutschsprachige Kunstwissenschaftler, darunter 70 Frauen, von den NS-Maßnahmen betroffen gewesen seien. Diese Zahl entspricht in etwa einem Viertel der aktiven Wissenschaftler des Faches. Zudem lässt sich sagen, dass von den hier erwähnten emigrierten Kunsthistoriker/innen mindestens 80% jüdisch waren. Dies ist ein Verweis auf den antisemitischen Charakter der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik im Fachbereich Kunstgeschichte (Michels, Wendland (2008), S. 762) sowie an deutschen und österreichischen Universitäten allgemein.
Von diesen 252 betroffenen Kunsthistoriker/innen wurden:
⁃ 215 zur Emigration gezwungen,
⁃ mindestens 52 wurden zwar aus ihren Ämtern entlassen, blieben aber im Land,
⁃ 5 verstarben in Konzentrationslagern,
⁃ und zuletzt 5 nichtjüdische Kunsthistoriker/innen gaben aus Protest gegen das NS-Regime ihren Beruf auf.
Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass sich diese Zahlen ausschließlich auf Personen beziehen, die ihr Studium an einer Universität in Deutschland, in Österreich oder in einem anderen deutschsprachigen Land absolviert haben. Unter den Ausgeschlossenen waren auch Archäologen, Kunsthändler und Kunstkritiker sowie Emigranten, die das Fach später bereichert haben, aber keine formale akademische Ausbildung in Kunstgeschichte vorweisen konnten. (Michels, Wendland (2008), S. 762) Nach Michels und Wendland könnte die tatsächliche Zahl der emigrierten Kunstwissenschaftler sogar noch höher liegen, da in der Forschungsliteratur immer wieder neue Namen auftauchen, die darauf schließen lassen, dass einige Fälle bisher noch nicht erfasst wurden. (Michels, Wendland (2008), S. 762) Unter diesen Bedingungen lassen sich aus der Tabelle von Maja Lichman, die im Rahmen ihre Masterarbeit aus dem Jahr 2024 erstellt wurde, weit unter 252 deutschsprachige Kunsthistoriker/innen vermerken, die zur Zeit des NS-Regimes emigrierten. Dementsprechend lassen sich aus derselben Tabelle 100 deutschsprachige Personen aus dem kunstwissenschaftlichen Fach herausfiltern. Bei dieser Zahl vermerkt Lichman einerseits noch, dass hierbei 79 von den 100 Kunsthistoriker/innen erst nach ihrem 24. Lebensjahr auswanderten. Andererseits wird anhand einer Geschlechterverteilung der über 24 Jahre alten Personen deutlich, dass es in Lichmans Studie im Vergleich zu Michels’ und Wendlands’ Angaben nur 6 Frauen und 73 Männer waren, also ein niedrigerer Frauenanteil
Diese Tabelle basiert auf den Daten von Lichman, die wiederum aus dem Handbuch der deutschsprachigen Emigration extrahiert wurden. Es ist jedoch wichtig anzu¬mer¬ken, dass bei den Angaben von Lichman der Fachbereich Kunstwissenschaft um¬fassend zu betrachten ist, und eine klare Abgrenzung hier nicht problemlos möglich ist.
Die Konsequenzen dieser Entwicklungen sowie der Amtsenthebungen für die universitäre Kunstwissenschaft führten zu einem Verlust von 38 % des Lehrkörpers an universitären Einrichtungen. Des Weiteren ist zu vermerken, dass auch Museen signifikante Einbußen erlitten haben, da mindestens 78 Wissenschaftler aufgrund von Entlassungen ihre Positionen verloren. Hierbei kam es insbesondere im Bereich der modernen Kunst zu solchen Einbußen. In diesem Kontext ist es ebenfalls wichtig, anzumerken, dass die jüdisch geprägte Kunstkritik nahezu vollständig unterdrückt wurde. Zudem zwangen die Amtsenthebungen ganze Schulen und Teildisziplinen wie beispielsweise die ostasiatische Kunstwissenschaft zur Emigration. (Michels, Wendland (2008), S. 763)
Die zuvor dargestellten Einschnitte hatten auch Auswirkungen auf die berufliche sowie auch auf die existenzielle Situation der deutschsprachigen Kunsthistoriker/innen. Infolgedessen sahen sich Kunsthistoriker/innen aufgrund der politischen Verhältnisse dazu genötigt, ihre Tätigkeit aufzugeben. Diese Form der beruflichen Einschnitte erfolgte häufig durch direkte Entlassungen oder Zwangspensionierungen. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs war diese Situation besonders prekär, da sie häufig keine Möglichkeit mehr hatten, ihre Habilitationen, Promotionen oder ihr Studium fortzusetzen. Darüber hinaus führen Michels und Wendland aus, dass 53 % der zur Emigration gezwungenen Kunsthistoriker/innen zum Zeitpunkt der Emigration noch nicht vollständig im Beruf etabliert waren. Dies veranschaulicht, dass die nationalsozialistischen Vertreibungen nicht in erster Linie etablierte Experten betrafen, sondern gleichermaßen auch junge Talente verdrängt wurden. (Michels, Wendland (2008), S.762)
Angesichts dieser beschriebenen Einschränkungen und Veränderungen war für die Kunsthistoriker/innen die Wahl ihres Emigrationsziels von entscheidender Bedeutung. Einfluss auf die Wahl des Studienortes übten zum Beispiel bereits vorangegangene Studienreisen oder persönlicher Kontakt aus. Die meisten Emigrationen erfolgten zunächst in europäische Länder, wie zum Beispiel nach Italien, Frankreich, in die Schweiz und in die Niederlande. Des Weiteren ist zu vermerken, dass eine weitere Gruppe von Emigranten vorübergehend Zuflucht in England suchte. Die britische Regierung zeigte sich jedoch bei der Aufnahme restriktiv. Aufgrund dieser Haltung der britischen Politik wurde Großbritannien schließlich vor allem als Transitland gesehen.
Nach Eruieren der gewählten Endstation zählen Michels und Wendland folgende Zahlen auf:
Tabelle europäischer Länder als Endstationen kunsthistorischer Emigrant/innen, aus Michels’ und Wendlands’ Beitrag zum Fach Kunstgeschichte in der 2. Auflage von „Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945“ (2008).
Anhand der Forschungsliteratur kristallisieren sich jedoch insbesondere die USA als die häufigste Endstation der deutschsprachigen Kunsthistoriker/innen heraus. Im Vergleich zu den europäischen Zielen reisten laut Krohn 106 (entspricht ungefähr 49%) dieser Emigranten in die USA. (Krohn (2008), S. 765; zu den USA als Emigrationsland vgl. hier den Länderbeitrag über die -> USA) Die Kunsthistorikerin Karen Michels spricht in der Forschungslektüre „Transplantiere Kunstwissenschaft. Deutschsprachige Kunstgeschichte im amerikanischen Exil“ sogar von über 130 Vertretern der deutschsprachigen Kunstgeschichte, die in den 1930er Jahren in die USA einreisten. (Michels (1999), S. 1) Im Gegenteil zu diesen hohen Zahlen nennt Lichman in ihrer Tabelle nur 67 Kunsthistoriker/innen, deren letzter Zielort die USA war. Dieser Vergleich zeigt auf, dass auch in diesem Aspekt eine Dunkelziffer zu berücksichtigen ist und vermutlich nicht alle Fälle dokumentiert wurden. Die geographische Verteilung der in die USA emigrierten Kunsthistoriker/innen zeigt eine breite Streuung: Von 110 Kunsthistoriker/innen ließen sich 70 % im Osten des Landes nieder. Im Mittleren Westen und Süden ließen sich 18,18 % nieder, an der Westküste nur 11,82 %. Die hier erkennbare Ansammlung von Kunsthistoriker/innen im Osten der USA lässt sich durch die hohe Dichte an Bildungseinrichtungen in dieser Region erklären. Ein Großteil dieser Positionen war jedoch nur temporär und stand im Kontrast zu den Vorstellungen der emigrierten Kunsthistoriker/innen, die bisher an eine stabile Beschäftigungssituation gewohnt waren. (Michels (1999), S. 42f.)Nicht zuletzt war die Struktur der amerikanischen Wissenschaftslandschaft und die Entwicklung der Kunstgeschichte ein Auslöser für diese Ausgangssituation. Entsprechend wurde Kunstgeschichte in den USA sowohl an allgemeinbildenden Colleges als auch an Universitäten und deren Graduate Schools gelehrt und konnten mit den Abschlüssen Master of Arts (M.A.) und Ph.D. (Ph.D.), die dem deutschen Dr. phil. entsprechen, abgeschlossen werden. Dadurch wurde hier auf mehreren Ebenen der Weg zu einer beruflichen Laufbahn als Kunsthistoriker/innen ermöglicht. (Michels (1999), S. 42) Zusätzlich begünstigte die liberalere Einwanderungspolitik der USA und die bereits etablierte deutsche Wissenschaftscommunity die Integration emigrierter Kunsthistoriker/innen dort. Besonders jene mit früheren Erfahrungen als Hochschullehrer wurden politisch willkommen geheißen, wie Walter S. Cook (1888–1962), Direktor des New Yorker Institute of Fine Arts, bemerkte; Er sah die Emigration dieser Kunsthistoriker/innen als eine Gelegenheit, hochqualifizierte Fachleute für die amerikanische Wissenschaftslandschaft zu gewinnen. Cook konnte gewissermaßen von der Vertreibung der Fachleute durch Hitler profitieren, indem er sie in den USA willkommen hieß. (Michels (1999), S. 1) Die Umstände führten dazu, dass zwischen 1933 und 1945 an etwa 80 Institutionen verschiedene deutschsprachige Kunsthistoriker/innen beschäftigt wurden. Zu diesen Institutionen zählten beispielsweise verschiedene Universitäten (25), Colleges (30) und Museen (15). (Michels (1999), S. 42)
Die Möglichkeiten einer Einwanderung in die USA unterlag strengen Quotenregelungen mit Ausnahmen, wie dem Non-Quota-Visum für Hochschullehrer, die lediglich eine Einladung von einer US-Universität benötigten. Andere Einwanderer waren hingegen verpflichtet, ein Affidavit vorzulegen, um ihre finanzielle Unabhängigkeit nachzuweisen. Hierbei wurde oft nach Ablauf eines Besuchervisums in -> Kanada oder auch in Kuba von diesen Einwanderern anschließend eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. (Michels (1999), S. 1)
Unterstützung und Hilfe erhielt ein Großteil der deutschsprachigen Kunsthistoriker/innen von Hilfsorganisationen oder anderen Fachleuten. Zu den genannten Hilfen gehörten Organisationen wie die britische Society for the Protection of Learning and Science (SPSL) und das amerikanische Emergency Committee (EC). (-> siehe hier Hilfsorganisationen) In beiden Fällen war es ein Anliegen, die Vertriebenen als Gelehrte und Wissenschaftler in den USA beruflich etablieren zu können. Die SPSL wurde beispielsweise mit der Intention gegründet, die berufliche Reintegration von Vertriebenen zu fördern. Im Rahmen ihrer Fördermaßnahmen wurden finanzielle Unterstützungsleistungen gewährt, welche vielfach dazu dienten, begonnene Forschungsprojekte zu einem Abschluss zu bringen. Die Entscheidung über die Gewährung einer Hilfeleistung erfolgte auf Basis einer kombinierten Bewertung verschiedener Faktoren. Zu solchen Kriterien zählten laufende Forschungsprojekte, das Alter der Antragsteller sowie ihr persönliches Auftreten. Die amerikanische Hilfsorganisation EC stand im engen Austausch mit der SPSL. Ihre Intention war es nun, den verfolgten Wissenschaftlern zu helfen, in die USA auszuwandern, um sich dort eine berufliche Existenz aufzubauen. Allerdings wurde den Emigrantinnen und Emigranten häufig empfohlen, sich gleichzeitig bei mehreren Organisationen zu bewerben. Durch diese Entscheidung konnten sie ihre Erfolgschancen maximieren, insbesondere bei beruflichen Situationen, die durch Unsicherheit gekennzeichnet waren. (Michels (1999), S. 2f.) Neben offiziellen Vermittlungskanälen über Hilfsorganisationen halfen auch die persönliche Vernetzung unter Kollegen. Das heißt, bestehende Verbindungen zu Institutionen, wie der Universität Hamburg oder der Universität Wien, wurden dabei intensiviert. Diese Netzwerke wurden dann beim Übergang in ein neues akademisches Umfeld ausgebaut und über die Grenzen der einzelnen Gruppierungen hinaus erweitert. (Michels (1999), S. 14f.; Ebd., S. 43) Unter den unterstützenden Kollegen befanden sich sowohl amerikanische als auch deutschstämmige Kunsthistoriker/innen. Bei den amerikanischen Kunsthistoriker/innen waren beispielsweise Walter S. Cook, Charles Rufus Morey (1877-1955) und Meyer Schapiro (1904-1996) zu nennen. Zu den deutschsprachigen Kunsthistoriker/innen, die in den USA tätig waren, zählten Wilhelm Rudolf Valentiner (1880-1958), Erwin Panofsky sowie Wilhelm Köhler (1884–1959). Diese Kollegen waren teilweise schon früher in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert oder waren ebenfalls im Zuge des NS-Regimes in die USA emigriert. Diese Kollegen waren nicht nur in der Beratung tätig, sondern verfassten zudem Gutachten und ermöglichten die direkte Vermittlung von Positionen sowie die Vergabe von Stipendien. Exemplarisch sei hier Walter S. Cook genannt, der einen maßgeblichen Beitrag leistete, indem er half, vertriebene Kunsthistoriker/innen in den USA zu etablieren. Ebenso nutzte Erwin Panofsky seine weitreichenden Kontakte, um europäischen Kollegen eine neue berufliche Perspektive zu bieten. Ein Beispiel für einen solchen Einfluss war Valentiners Engagement für Paul Wescher (1896-1974), den er erfolgreich an das J. Paul Getty Museum in Malibu vermittelte, nachdem Wescher seine Position am Berliner Kupferstichkabinett verloren hatte. (Michels (1999), S. 16–19)
Die Emigration von Kunsthistoriker/innen in die USA hatte nachhaltige Auswirkungen auf deren berufliche Laufbahn. So kann festgehalten werden, dass unabhängig davon, wie die Einwanderung stattfand - ob mit Unterstützung, ohne persönliche Verbindungen oder durch eine knappe Flucht - die Zwangsemigration in fast allen Fällen radikale berufliche Veränderungen mit sich brachte. Dies impliziert, dass in den USA die in Deutschland etablierten Karrieremuster de facto keine Geltung mehr besaßen. Die Konsequenz war, dass eine Vielzahl von Emigranten sich zunächst in anderen Berufsfeldern betätigen musste, bevor sie wieder in ihrem ursprünglichen Bereich Fuß fassen konnte. Die in Deutschland gängigen Karrieremuster – von der Assistentenposition bis zur Professur oder vom Volontär bis zum Direktorposten – ließen sich in den USA häufig nicht übertragen. Ein nicht unerheblicher Anteil der Emigranten sah sich daher gezwungen, das Berufsfeld zu wechseln, sei es temporär oder dauerhaft. Resultat war das Verharren in einer langen Verweildauer auf den unteren Stufen der akademischen Hierarchie. Ein Beispiel für einen solchen beruflichen Wechsle war der Werdegang von der Kunsthistorikerin Sabine Gova (1901-2000). Sie gelang über Frankreich und Marokko nach New York. Dort arbeitete sie anstelle als Kunsthistorikerin zunächst als Putzhilfe, bevor sie eine Hilfstätigkeit bei der UNO erhielt. Mit fast 60 Jahren wurde sie schließlich Assistenzprofessorin an der New York University (NYU) im Fach Kunstgeschichte. Ihre Karriere verdeutlicht ihre bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit und ihren Einfluss in ihrem Fachgebiet trotz eines späten Neuanfangs in einem fremden Land. (Für mehr Information finden Sie hier das Interview mit Sabine Gova.) In diesem Kontext sei ebenfalls noch Fritz Neugass (1899-1979) genannt, der sowohl am Kunsthistorischen Institut in Florenz als Volontär sowie als Kunstkorrespondent in Deutschland tätig war. Seinen beruflichen Werdegang in den USA begann er zunächst als Schwimmlehrer, später dann als Krankenpfleger und Buchhändler. Erst nach einer vierjährigen Unterbrechung war es im wieder möglich in seinem ursprünglichen Berufsfeld tätig zu werden. (Michels (1999), S. 36) Ein solcher mühsamer Karriereverlauf stand aber nicht jedem bevor. Der erfolgreiche berufliche Werdegang von Erwin Panofsky ist ein solches Gegenbeispiel: Im Jahr 1933 emigrierte der angesehene Kunsthistoriker in die USA, wo er seine erfolgreiche akademische Laufbahn direkt fortsetzen konnte. Zudem wurde Panofsky unmittelbar nach seiner Ankunft in den USA eine Professur an der Princeton University sowie ein permanent Fellowship am Institute for Advanced Study übertragen. Auf diese Weise war es ihm möglich, auch anderen emigrierten Kunsthistoriker/innen wie Walter Friedlaender (1873-1966) bei der beruflichen Etablierung zu helfen. (Michels (1999), S. 36-40; Panofsky (1953), S. 82; Weiteres zu Walter Friedlaender hier nachhören.) Die Eingliederung in die amerikanische Wissenschaftsgemeinde führte zu umfassenden Veränderungen der institutionellen Strukturen. Von den Kunsthistoriker/innen, die in Deutschland als Professoren oder Privatdozenten tätig waren, konnten nur zwei Drittel im Exil ihre vorherige akademische Karriere fortsetzen. Ein Großteil der anderen Kunsthistoriker/innen wechselte in Forschungsstellen oder ging gar in den Ruhestand. Der Anteil der Kunsthistoriker/innen in Museen verringerte sich zudem erheblich, aufgrund der nur selten in den USA erfolgten Beschäftigung von wissenschaftlich ausgebildeten Kuratoren in Museen. Lediglich zehn Prozent der vormals im Museumsbereich tätigen Personen konnten ihre Beschäftigung im Museum fortsetzen, während die übrigen in gänzlich andere Berufssparten wechselten. Ein Beispiel für die berufliche Umorientierung stellt Ernst Kris (1900-1957) dar: Dieser war in Deutschland als Kunsthistoriker tätig und übte nebenberuflich die Tätigkeit eines Psychoanalytikers aus. In den USA nahm er eine hauptberufliche Position in der Psychoanalyse an. Allgemein konnte aber beobachtet werden, dass der Übergang in akademische Positionen in den USA für einige Emigrierte relativ problemlos verlief. Dies galt besonders für diejenigen, die in Deutschland als Freiberufler, Journalisten oder Kunstkritiker tätig gewesen waren. Die pragmatische Ausrichtung ermöglichte ihnen eine bessere Anpassung an die Anforderungen der neuen Umgebung. (Michels (1999), S. 37f.) So führte die Emigration in vielen Fällen zu einer Akademisierung der Kunsthistoriker/innen, die daraufhin akademische Positionen übernahmen. Obgleich zahlreiche kunstgeschichtliche Emigranten mit Hindernissen konfrontiert waren, gelang es ihnen meistens, innovative Lösungen zu finden. Dadurch konnten sie sich erfolgreich in der neuen Umgebung integrieren.
Die Emigration beeinflusste die Karriereverläufe von Kunsthistoriker/innen nachhaltig, indem sie zu größerer Flexibilität und einer erhöhten Bereitschaft führte, neue Rollen und Disziplinen anzunehmen. Diese Entwicklungen hatten auch Auswirkungen auf die Struktur der Disziplin selbst: Akademiker arbeiteten praxisbezogener, Spezialisten wurden zu Generalisten und Kustoden wandelten sich zu Dozenten. Die dadurch initiierten Veränderungen trugen maßgeblich zur Breitenwirkung der Kunstgeschichte in den USA bei, indem sie eine Publikations- und Vermittlungspraxis entwickelten, die auch nicht-akademische Zielgruppen adressierte.
Ein bedeutender Aspekt bei der Untersuchung der Emigration von Kunsthistoriker/innen während des NS-Regimes ist der Abbruch von Emigrationsversuchen. Nicht alle Kunsthistoriker/innen, die während der Herrschaft des NS-Regimes in die USA geflüchtet waren, schafften es sich dort dauerhaft niederzulassen. Besonders in einigen Korrespondenzen von österreichischen Kollegen, die an den amerikanischen Kunsthistoriker Meyer Schapiro gesendet wurden, finden sich zahlreiche Hinweise darauf. Ob diese nun freiwillig oder unter Zwang nach Amerika auswanderten, lässt sich jedoch aus der Literatur nicht eindeutig erkennen. Letztendlich kehrten viele von ihnen nach Europa zurück. Während dies für einige als glücklicher Umstand betrachtet werden könnte, bleibt die Frage, warum ihre Bemühungen scheiterten, sich in den USA zu etabliere. Einige Experten des Faches führen dies zum Beispiel auf den Zeitpunkt ihrer Anträge zurück: Um 1940 waren die Kapazitäten amerikanischer Hochschulen erschöpft, Stellen besetzt sowie Stipendienmittel aufgebraucht. Neben diesen Aspekten nahm in den USA mit fortschreitender Zeit die Bereitschaft, Kunsthistoriker/innen dauerhaft aufzunehmen, ab (-> siehe hier USA). Hinzu kam, dass die Kunsthistoriker/innen selbst zögerten. Im Gegensatz zu Naturwissenschaftlern waren sie unmittelbar auf sprachliche Ausdrucksfähigkeit angewiesen und mussten mit einer stark reduzierten professionellen Infrastruktur sowie der Entfernung von ihrem primären Forschungsmaterial, den in Europa befindlichen Kunstwerken, zurechtkommen. ( siehe hier Sprache) Eine solche hinausgezögerte endgültige Entscheidung ließ sich beispielsweise unter vielen österreichischen Kollegen feststellen. So war unter anderem Fritz Novotny nicht bereit, alles hinter sich zu lassen, um in der neuen Welt Fuß zu fassen. (Michels (1999), S. 34f.) Zurückhaltende Referenzempfehlungen, eine zu spezialisierte berufliche Ausrichtung oder ein fortgeschrittenes Alter waren ebenso Hindernisse für eine dauerhafte und erfolgreiche Emigration. Dem Berliner Privatdozenten Leopold Giese zum Beispiel wurde primär aufgrund seines Alters von über 50 Jahren ein Neuanfang in den USA vereitelt. Edmund Schilling, Kustos der Graphischen Sammlung des Frankfurter Städel, erhielt ebenfalls die Nachricht, dass er als ausländischer Fachmann keine Anstellung an einem amerikanischen Museum finden würde. Aufgrund dieser zahlreichen Faktoren blieb für viele Kunsthistoriker/innen der Wechsel auf einen anderen Kontinent nur eine Notlösung, die nicht zu einer dauerhaften und erfolgreichen Emigration führte. (Michels (1999), S. 34f.) So kam es auch zur Remigration (-> siehe hier Remigration) von emigrierten Kunsthistoriker/innen, hier zurück nach Deutschland oder Österreich.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Rückkehr allerdings äußerst selten. Von den 125 Kunsthistoriker/innen, die während des NS-Regimes in die USA geflohen waren, kehrten Michels zufolge nur etwa vier bis fünf bekannte Persönlichkeiten zurück. Zu diesen Wenigen zählen beispielsweise die deutschen Kunsthistoriker Otto von Simson (1912-1993) und Ernst Strauss (1901-1981) sowie der Österreicher Otto Benesch (1896-1964). Von Simson konnte nach seiner Rückkehr eine Professur für Kunstgeschichte an einer deutschen Universität antreten. Seine Entscheidung zur Rückkehr wurde durch seine nationalkonservative und deutschfreundliche Grundeinstellung motiviert. Benesch kehrte trotz materieller Einbußen und bürokratischer Hürden 1947 als Direktor der Graphischen Sammlung Albertina nach Wien zurück. Neben solchen Remigrationen kam es bei Strauss jedoch, der 1949 nach Deutschland zurückkehrte, zu einem Fachwechsel. Anstatt weiter in der Kunstgeschichte tätig zu sein, arbeitete er nach der Remigration als Professor für Klavier in Freiburg. (Michels (1999), S. 188f.)
Die niedrige Remigrationsrate hatte vielfältige Ursachen: Viele Emigranten hatten in den USA die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangt und berufliche Sicherheit gefunden, was eine starke Loyalität gegenüber ihrem neuen Heimatland zur Folge hatte. Außerdem erlangten viele Kunsthistoriker/innen ihre Berühmtheit erst in den USA, was ihnen einen weiteren Grund gab, dort zu bleiben. (Michels (1999), S. 188f.)
Des Weiteren bot das alltägliche Leben im Nachkriegsdeutschland wenig Anreiz für eine Rückkehr. Das Verhalten der Deutschen war oft abschreckend, da die ’Entjudung’ der Hochschulen teilweise fortgesetzt wurde und jüdische Bewerber systematisch ausgeschlossen blieben. Eine politische Initiative zur Rückkehr der vertriebenen Wissenschaftler fehlte ebenfalls. Es gab jedoch neben den Punkten Abbruch und Remigration gezielte Bemühungen in Form von Rückberufungen, um emigrierte und in den USA angekommene Kunsthistoriker zur Rückkehr zu bewegen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Erwin Panofsky. Dieser erhielt im April 1946 eine Einladung, in der er gebeten wurde, nach Hamburg zurückzukehren. Diese lehnte Panofsky jedoch aufgrund seiner erfolgreichen Existenz in den USA ab. (Michels (1999), S. 190f.)
Trotz der selten erfolgten persönlichen Rückkehr blieben emigrierte Kunsthistoriker oft intellektuell in Deutschland präsent. Dies wurde beispielsweise durch Gastprofessuren, Vortragsreisen und wissenschaftliche Kooperationen dokumentiert. Auf vielfältige Weise blieben die Emigranten so mit dem deutschen Wissenschaftssystem verbunden. (Michels (1999), S. 191)
Zusammenfassend zeigt sich, dass die Emigration und Remigration von Kunsthistorikern während und nach der NS-Zeit komplexe Phänomene darstellen. Zahlreiche Kunstwissenschaftler fanden in den USA eine neue Heimat und prägten die Kunstwissenschaft in den USA entscheidend mit. Die Verbindung zur deutschen Kunstgeschichte blieb jedoch trotz der transatlantischen Erfolge und neuen Lebenswege bestehen. Eine solche duale Präsenz ermöglichte es in den folgenden 50er und 60er Jahren, das Fach auf beiden Seiten des Atlantiks zu bereichern und einen wissenschaftlichen Austausch in Gang zu setzen.
Ash, Mitchell: iWissenschaft und Politik als Ressourcen für einander. In: R. vom Bruch (Hrsg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik - Bestandaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deuschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart: Franz Steiner-Verlag, 2002, 32-51.
Besch, Lutz: Auszug des Geistes: Bericht über eine Sendereihe (= Radio Bremen), Bremen 1962.
Beyer, Andreas: Stranger in Paradise. Erwin Panofsky’s Expulsion to the Academic Parnassus, in: Eckart Goebel, Sigrid Weigel (Hrsg.): „Escape to Life“. German Intellectuals in New York: A compendium on Exile after 1933, Berlin/Boston 2012, S. 429-444.
Eisler, Colin: "Kunstgeschichte" American style: a study in migration, in: Donald Fleming (Hrsg.): The intellectual migration: Europe and America, 1930-1960, Cambridge 1969, S. 544-629.
Doll, Nikola u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Aufriss und Perspektiven, in: Nikola Doll u.a. (Hrsg.): Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005, S. 9-26.
Hausmann, Frank-Rutger: Die Geisteswissenschaften im „Dritten Reich", Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2011.
Held, Jutta und Martin Papenbrock (Hrsg.): Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus (= Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Band 5), Göttingen 2003.
Mehrtens, Herbert: "Kollaborationsverhältnisse. Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie". In: C. Meinel u. P. Voswinckel (Hrsg.): Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus - Kontinuitäten und Diskontinuitäten (Stuttgart, 1994), S. 13-32.
Michels, Karen und Ulrike Wendland: Kunstgeschichte, in: Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, S.761-769.
Michels, Karen: Transplantierte Kunstwissenschaft: deutschsprachige Kunstgeschichte im amerikanischen Exil (= Studien aus dem Warburg-Haus, Band 2), Berlin 1999.
Panofsky, Erwin: The History of Art, in: Franz Leopold: The cultural migration: the European scholar in America, Philadelphia 1953, S. 82-111.
Papenbrock, Martin: Anmerkungen zur Geschichte und Methodik der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung zur Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, in: Ruth Heftrig u.a. (Hrgs.): Kunstgeschichte im "Dritten Reich". Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008, S. 25-38.
https://www.ardaudiothek.de/episode/radio-bremen-retro-wissenschaft-im-exil-1933-1945/gespraech-mit-sabine-gova-kunsthistorikerin/radio-bremen/13077459/ (zuletzt aufgerufen am 23.07.2024)
https://www.ardaudiothek.de/episode/radio-bremen-retro-wissenschaft-im-exil-1933-1945/gespraech-mit-walter-friedlaender-sozialpaedagoge/radio-bremen/13481639/ (zuletzt aufgerufen am 23.07.2024)