Auf der Webseite der Universität Stuttgart werden die Begriffe "Immigranten", "Flüchtlinge" und "Emigranten" in verschiedenen Artikeln verwendet. Um Missverständnissen vorzubeugen, ist es wichtig, eine begriffliche Unterscheidung vorzunehmen, da diese auch
im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch synonymisch verwendet werden. Dazu ist es
nötig zuerst den übergeordneten Migrationsbegriff und dann die allgemeinen Bedeutungen dieser Begriffe zu erklären. Auf dieser Grundlage wird die Problematik der Begriffsdefinitionen, wie sie in Hannah Arendts berühmtem Aufsatz „We Refugees“ (1943) im
Kontext des damaligen Zeitgeistes betrachtet wurde, aufgegriffen und den aktuellen sozialwissenschaftlichen Definitionen gegenübergestellt, um die Entwicklung und Verschiebung in der Wahrnehmung und Interpretation dieser Bezeichnungen aufzuzeigen
Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert die Begriffe folgendermaßen: „Migration“ heißt Wanderung/Wegzug, „Immigration“ bedeutet Einwanderung und „Emigration“ Auswanderung. Mit „Flüchtling“ sind Personen gemeint, die gezwungen werden, ihr
Heimatland zu verlassen. Ein Immigrant bzw. ein Flüchtling ist also auch immer ein
Emigrant, da er aus seinem Herkunftsland ausgewandert ist und aus der Sicht eines
Einwohners des Ziellandes ist diese Person ein Immigrant. Es kommt somit auf die Perspektive der betrachtenden Person an (Vgl. Schneider & Toyka-Seid (2024)).
Der Begriff „Flüchtling“ ist hierbei sogar noch differenzierter zu betrachten, da er international rechtlich erst durch die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert wird,
womit Menschen gemeint sind, die in ihrem Heimatland aufgrund ihrer Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, und politischer Überzeugung verfolgt werden (Vgl. United Nations (1951), S.14). Bevor man aber offiziell ein
Flüchtling ist, muss noch über dessen Asylantrag entschieden werden und diese Person
erhält solange die Bezeichnung „Asylsuchender“. Nachdem über diesen Antrag entschieden wurde, ist die Aufenthaltsgenehmigung meist von begrenzter Dauer und unterscheidet sich je nach Land und rechtlicher Situation. Verwirrend kommt hinzu, dass
Menschen, die ihre eigenen Landesgrenzen aufgrund von Umweltkatastrophen oder einem Bürgerkrieg verlassen müssen, faktisch „Binnenflüchtlinge“ (Displaced Person)
sind, aber nicht juristisch als Flüchtlinge gelten (Vgl. Oswald (2007), S. 68).
In der modernen Fachliteratur gibt es aber keine einheitlichen Definitionen des Begriffes
„Migration“ und ihrer Subkategorien (Oswald (2007), S. 13). Diese Problematik wird im
dritten Kapitel (→ Definition der Migrationsbegriffen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive) genauer beleuchtet.
In ihrem 1943 veröffentlichten Aufsatz „We Refugees“ untersucht und reflektiert Hannah
Arendt die Reaktionen jüdischer Emigrantinnen und Emigranten auf ihre Lebensumstände. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass Hannah Arendt selbst Emigrantin und
zugleich Geflüchtete war. 1933 floh sie nach ihrer Gestapoinhaftierung aus Deutschland. Mit dem Gebrauch des Wortes „We“ im Titel identifiziert und verknüpft sie ihr
Schicksal mit dem anderen jüdischen Emigranten. Hierbei nimmt sie die Rolle als
Sprachrohr für diese Gemeinschaft ein (Morgenroth (2018), S. 2.).
Zugleich thematisiert sie am Anfang ihres Aufsatzes den negativ konnotierten Begriff
„Flüchtling“ (im orig. „Refugee“). Sie betont, dass der Begriff „Flüchtling“ in der Vergangenheit für Menschen verwendet wurde, die aufgrund von Handlungen oder politischer
Meinungen Zuflucht suchen mussten. Doch für die Juden ihrer Zeit habe sich der Begriff
verändert, da sie keine solchen Taten begangen haben, aber unberechtigterweise von
der NS-Regierung solcher beschuldigt wurden und oft unfreiwillig zur Flucht gezwungen
wurden. Arendt beschreibt Flüchtlinge als diejenigen, die mittellos in einem neuen Land
ankommen und von Flüchtlingskomitees unterstützt werden müssen. Der Begriff „Immigrant“ oder „Neuankömmling“ (im orig. „Newcomer“) hingegen würde hingegen von
vielen jüdischen Emigranten bevorzugt werden, um zu betonen, dass sie scheinbar freiwillig aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen persönlicher Entscheidungen ausgewandert seien und um ihre Unabhängigkeit und ihren Wunsch nach Neubeginn zu unterstreichen. (Vgl. Arendt (1943), S. 1f.).
Es kristallisiert sich heraus, dass diese Verdrängung und der Wunsch, als „Immigrant“
und nicht als „Flüchtling“ gesehen zu werden, Ausdruck einer tieferen gesellschaftlichen und politischen Ablehnung von Flüchtlingen war. Flüchtlinge galten als Last, alsMenschen, die Hilfe brauchten, während Immigranten als unabhängige, selbstbestimmte Individuen angesehen wurden (Vgl. Ebd. S. 1-3).
Trotz der Bemühungen, sich in den neuen Ländern zu assimilieren, blieben sie durch
ihre Identität als Juden und Flüchtlinge stigmatisiert, was oft in Widersprüchen in der
Bezeichnung der Emigranten durch die Behörden der jeweiligen Zielländer resultierte
(Ebd. S. 5)
Zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen befassen sich mit der Migration aber eine einheitliche fachübergreifende Definition gibt es nicht, womit die Komplexität dieses Begriffes betont wird. Migration wird aber auch hier als Wanderungsprozess bzw. Wanderung
bezeichnet (Vgl. Treibel (2008), S. 17). Übergreifend sind für alle verschiedenen Definitionen „die Aspekte des Wechsels und der Bewegung zentral“ (Vgl. Ebd. S. 19).
Aufgrund dieser Komplexität ,,wurden mehrere Typologien entwickelt, um den häufig
sehr allgemein gehaltenen Migrations-Begriff […] konkretisieren und differenzieren zu
können“. Dazu gehören räumliche Aspekte, zeitliche Aspekte und Wanderungsentscheidung bzw. Wanderungsursache und -umfang (Vgl. Ebd. S.20).
Relevant für die Unterscheidung zwischen Flüchtling und Immigrant sind die Aspekte
der Wanderentscheidung bzw. der Wanderungsursache, die differenziert werden durch
freiwillige Wanderung (Arbeitsmigration) und erzwungenen Wanderung (Fluchtmigration,
Vertreibung) (Vgl. Ebd.).
Treibel erwähnt, dass diese Unterscheidung besonders umstritten ist, da diese Motive
der Wandernden immer wieder Gegenstand politischer, juristischer und moralischer
Urteile sind und (Vgl. Ebd.) auch die ältere Forschungsliteratur betrachtet diese Unterscheidung als problematisch: „Wer freiwillig und aus wirtschaftlichen Gründen geht, ist
ein Einwanderer, und wer unfreiwillig und aus politischen Gründen geht, ist ein Flüchtling. Diese Begriffsbildung ist jedoch in vieler Hinsicht problematisch“ (Suhrke/Zolberg
(1992), S. 39). Diese Verallgemeinerung betrachtet Oswald ebenso kritisch und bietet
einen Lösungsansatz. Aufgrund der Komplexität und Umstrittenheit sollte man dieseTypologien nur als erste Ordnungsversuche ansehen und nicht als eine Verallgemeinerung, die zu einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit überhöht wird. Sie würden sich aber für
eine erste Erfassung einer Migrationssituation eignen(Oswald (2007), S. 68).
Betrachtet man die Definition der Begriffe aus der Sicht Arendts und der modernen Soziologie bilden sich folgende Gemeinsamkeiten heraus:
• Die Anerkennung der Migration als einen Prozess der Bewegung und des Wechsels.
• Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen freiwilligen und erzwungenen
Formen der Wanderung zu unterscheiden. Dazu gehören die Menschen, die aufgrund von Verfolgung und existenziellen Zwängen gezwungen sind zu fliehen und
„Immigranten“, die ihre Auswanderung freiwillig und oft aus wirtschaftlichen
Gründen vornehmen.
• Die Problematik durch die zuvor genannte Unterscheidung und der Stigmatisierung der Menschen aufgrund ihrer Wanderungsursache auf moralischer, politischer und juristischer Ebene.
Unterschiede:
• Erweiterung der zuvor als Gemeinsamkeit aufgelistete Problematik und Verknüpfung des Begriffes des Flüchtlings mit dem historischen Kontext der Armut und sozialer Abhängigkeit durch Arendt, während die Fachliteratur eine
solche Verallgemeinerung nicht verwendet.
• Thematisierung der Problematik der Typologie in einem diskursiven, moralisch-politischen Kontext durch Arendt aus der Sicht einer Betroffenen ihrer
jüdischen Emigrantengemeinschaft und Forderung aus dieser Perspektive
nach einer neuen Selbstbezeichnung.
• Fehlen der subjektiven Selbstbezeichnung als Untersuchungsgegenstand in
der vorher genannten Forschungsliteratur.
• Fehlende juristische Unterscheidung zwischen dem Begriff des Flüchtlings
und des Immigranten durch Arendt, aber Thematisierung des Problems derStaatenlosigkeit der Emigranten, welche zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht gelöst worden war.
Beide Perspektiven verdeutlichen, dass die Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und
Immigranten nicht nur eine terminologische Frage darstellt, sondern auch politisch, juristisch und moralisch bewertet wird. Interessanterweise bleibt die Definition der Emigration bzw. des Emigranten sowohl bei Arendt als auch in den Sozialwissenschaften
weitgehend unumstritten. Diese neutrale Bezeichnung hat weder historisch noch gegenwärtig eine unreflektierte Verwendung gefunden und wäre eine mögliche alternative
Selbstbezeichnung, die jedoch nur eine Perspektive der Wanderung darstellt und somit
zu eindimensional erscheint.
Aus heutiger Perspektive ist der Begriff „Flüchtling“ im Kontext der fortwährenden
Flüchtlingsdebatte nach wie vor umstritten und negativ konnotiert, insbesondere durch
die diminutive Endung „-ling“, die eine abwertende Wirkung haben kann.
Auch die Unterscheidung zwischen erzwungener und freiwilliger Migration erweist sich
als problematisch, da selbst Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen migrieren,
häufig durch den Topos des „Wirtschaftsflüchtlings“ stigmatisiert werden.
Eine synonyme Verwendung oder gar ein Ersatz durch das Wort „Immigrant“ für „Flüchtling“, wie es Arendt vorschlägt, ist aufgrund der unterschiedlichen politischen, juristischen und gesellschaftlichen Konnotationen kaum umsetzbar. Andere bekannte Begriffe wie „Asylant“, der im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren negativ belastet ist, wird aufgrund seines problematischen und abwertenden Kontextes ausgeschlossen. Eine mögliche Alternative für den alltäglichen Gebrauch könnte die die Bezeichnung „Neuankömmling“ sein, wie Arendt es vorschlägt oder das Wort „Geflüchtete/r“,
welches bereits als Synonym in dieser Begriffskontroverse verwendet wird, gegendert
werden kann und historisch neutral scheint (Vgl. Hardick (2016) & bpb (2022)). Den Begriff „Geflüchtete“ lehnt das UN-Flüchtlingshilfswerk kategorisch ab mit der Begründung, dass dieser abwertend und banal sei und der Begriff des „Flüchtlings“ seit 70 Jahren durch die UN-Flüchtlingskonvention geschützt werde (Vgl. UNHCR (2023)).
Abschließend kristallisiert sich heraus, dass die Flüchtlingsbegriffskontroverse andauert
und eine allumfassende und nicht-diminutive Bezeichnung nur schwer gefunden werden kann aufgrund der vielen verschiedenen Meinungen und fehlenden politischen und
juristischen Implikationen der jeweiligen Begiffe.
Arendt, Hannah: "We Refugees." The Menorah Journal, Vol. 31, No. 1, Januar 1943. S. 69-77.
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (Hrsg.): einfach POLITIK: Lexikon. Autor/inn/en:
D.Meyer, T.Schüller-Ruhl, R.Vock u.a./ Redaktion (verantw.): Wolfram Hilpert (bpb). Bonn: 2022.
In: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-in-einfacher-sprache/249861/gefluechtete/
(letzter Stand: 08.09.2024).
Hardick, Stefanie: Darf man das so sagen?. Bundeszentrale für politische Bildung 5. August
2016. In: https://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/zuwanderung/darf-man-dasso-sagen (letzter Stand: 08.09.2024).
Morgenroth, Olaf: Vor allem mögen wir es nicht, wenn man uns Flüchtlinge nennt – Hannah
Arendts Aufsatz We refugees von 1943. Conflict & communication online, Vol. 17, No.2, 2018.
Oswald, Ingrid: Migrationssoziologie. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH 2007.
Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung,
Gastarbeit und Flucht. Juventa Verlag Weinheim und München 2008
Schneider, Gerd / Toyka-Seid, Christiane: Einwanderung/ Immigration. In: Das junge PolitikLexikon von www.hanisauland.de, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2024. In:
https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320187/einwanderungimmigraton/#:~:text=Ob%20man%20also%20von%20%E2%80%9EEinwanderung,m%C3%B6chten%
2C%20Einwanderer%20(Immigranten) (letzter Stand: 08.09.2024)
Suhre, Astri/Aristide R. Zolberg: Jenseits der Flüchtlingskrise. Entspannung und dauerhafte Lö-
sungen für die sich entwickelnde Welt. In: Blascke/Germershausen, S.11-51
UN-Flüchtlingshilfswerk/UNHCR (Hrsg.): UN-Flüchtlingshilfswerk lehnt Ausdruck „Geflüchtete“
ab. 05.01.2023. In: https://unric.org/de/unhcr05012023/ (letzter Stand 08.09.2024)
United Nations: Convention relating to the Status of Refugees. 28 Juli 1951. In:
https://www.unhcr.org/3b66c2aa10 (letzter Stand: 08.09.2024).