Die Geschichte der Biologie im Nationalsozialismus ist bemerkenswert, da sich diese über die gesamte Zeit hinweg erfolgreich halten konnte. Insbesondere die Kaiser-Wilhelm-Institute wurden für die deutsche Forschung enorm wichtig und verdrängten in vielen Bereichen zunehmend die Universitäten (Deichmann 1995: 353). Falls man den Behauptungen des deutschen Biologen und ehemaligen Direktors des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie, Adolf Butenandt (), Glauben schenken kann, dann seien die Kaiser Wilhelm Institute bis zur Besatzung der Alliierten frei gewesen. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften wurde im Jahr 1911 als eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung mit dem Ziel der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung gegründet (Vierhaus & vom Brocke 1990). Die dort arbeitenden Wissenschaftler hatten im Gegensatz zu Universitätsdozenten keinen Lehrauftrag. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten gewannen die KWI massive staatliche Zuschüsse, was insbesondere der Biologie half. Im Gegensatz dazu konnten sich die deutschen Universitäten auf keine gleichartige finanzielle Unterstützung einstellen, welche zu Anfang teilweise vorhanden war aber in den kommenden Jahren jedoch fast vollständig reduziert wurde. Ebenso litt die Forschung an den Universitäten darunter, dass in den kommenden Kriegsjahren immer mehr Unipersonal zum Kriegsdienst eingezogen wurde, wovon Mitarbeiter des KWI größtenteils freigestellt wurden. Im Unterschied zu vielen anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen verlor die deutsche Biologie erst mit der deutschen Niederlage 1945 massiv an Forschungspotential. Dies war keine Folge der Entlassungen vieler, größtenteils jüdischer oder aus politischen Gründen diskriminierter Kollegen, sondern der komplette Einbruch der Förderung durch die NSDAP und der Tatsache, dass die KWI sich mit einem Großteil ihrer Mitarbeiter durchaus systemkonform gezeigt hat, was den deutschen Kollegen international ihren Ruf kostete. Obwohl die NSDAP der biologischen Forschung keine direkten Vorgaben machte und alle biologischen Subdisziplinen die Personaleinbußen der frühen Entlassungen größtenteils unbeschadet überlebten, was ihnen die Fortsetzung ihrer gewohnten Forschung ermöglichte, gab es jedoch zahlreiche Überschneidungen mit der Rassenideologie der Nazis sowie aktive Unterstützung von Menschenversuchen an Konzentrationslagerinsassen. Schon in dem Jahrhundert vor der NS-Diktatur waren Rassenlehre und Rassenhygiene unter internationalen Biologen durchaus verbreitet (Weingart et al. 1992),. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich solche Ideen gerade unter der Förderung der Nationalsozialisten nicht etwa durch Zwang, sondern durch politische Einflüsse unter deutschen Biologen verfestigten, welche sich in größtenteils systemkonform zeigten. Obwohl die Rassenhygiene eher eine Angelegenheit der Mediziner und Juristen war, kam es auch dort zur Mitarbeit von einigen Biologen (Schmuhl 2005). darunter der Leiter der Abteilung für menschliche Erblehre am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, Otmar von Verschuer (1896–1969), welcher mit mit dem KZ-Arzt Joseph Mengele (1911–1979) in Ausschwitz in Korrespondenz stand, um Berichte und Proben bestimmter Menschenversuche für seine Forschung verwenden zu können Dazu gehörte die absichtliche Infektion von Menschen mit Infektionskrankheiten und das Durchführen von Unterdruckexperimenten an epileptischen Kindern und Kriegsgefangenen (Zofka 1986, Sachse Hrsg. 2003). Weitere Fälle von Mitarbeitern der KWI, welche aktiv die Rassenpolitik der NSDAP propagierten, waren der Zoologe und Nobelpreisträger Konrad Lorenz (1903–1989), welcher Mitarbeiter im Rassenpolitischen Amt der NSDAP wurde und das „Ausmerzen“ genetisch Minderwertiger forderte, und der Zoologe Gerhard Heberer (1901–1973), welcher sich stets darum bemühte, die Überlegenheit der "nordischen Rasse" populationsgenetisch und anthropologisch zu begründen.
Da die Definition von ‚Biologe‘ nicht ganz klar ist gibt es auch verschiedene Statistiken über ihre Emigration. Ute Deichmanns Monographie "Biologen unter Hitler" liefert folgende Zahlen: Im Jahr 1933 waren 254 Biologen an deutschen Universitäten habilitiert und 24 nicht habilitierte Assistenten oder DFG-Stipendiaten an den KWI tätig. 1938 waren 59 Biologen an österreichischen Universitäten und an der Deutschen Universität in Prag habilitiert. Von all jenen wurden genau 30 aufgrund ihrer "nichtarischen" Herkunft entlassen. Dies bedeutete entweder dass sie jüdisch waren oder mit einer jüdischen Person verheiratet waren. Von diesen 30 emigrierten 16. (Deichmann 1995:36) Das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration liefert jedoch eine Vielzahl an weiteren Daten, da die dort aufgeführten Biologen nicht unbedingt an Universitäten angestellt waren. Demnach emigrierten von 1933 bis 1940 75 Biologen. Mit 25 der größte Anteil von ihnen zog direkt in die USA, während es 13 weitere über eine vorübergehende Zwischenstation dorthin verschlug. Somit Emigrierten über die Hälfte aller vertriebenen Biologen in die USA. An zweiter Stelle befindet sich Palästina mit gerade einmal 6 Personen. Für die Biologen in den USA sind gemischte Eindrücke von ihrem Gastgeberland und ihren dortigen Kollegen überliefert: "the visitors found their hosts to be friendly, intelligent and hard-working but highly specialized and not sufficiently 'cultivated'. [...] The emigrés were struck by their American hosts' preoccupation with method and measurement which the Americans were amazed by their guests's predilections for theorizing on a grand scale." (Zitate aus Harwood 1995: 48)
Unter Lenin und Trotsky bestand in der frühen Sowjetunion eine gesetzlich festgelegte Autonomie der Wissenschaft. Diese wurde jedoch unter Stalin 1948 komplett abgeschafft. Schon in den 30er Jahren ordnete Stalin die Hierarchie der Forschungsinstitute nach seinen Wünschen um. Der sowjetische Biologe Trofim Denisovich Lyssenko (1898–1976) erlangte sein Vertrauen durch einige Erfolge in der Verbesserung der Landwirtschaft, was zu diesem Zeitpunkt gut zu Stalins ambitionierten Fünf-Jahresplänen passte. Somit gelang Lysenko an die Spitze der Sowjetischen Landwirtschaft und Biologie wo er sich bis 1964 halten konnte, obwohl er nach Stalins Tod im Jahr 1953 stark an Einfluss verlor. Mit seinen Thesen und der uneingeschränkten Unterstützung Stalins samt seines NKWD Geheimdienstes warf die damals sehr fortschrittliche Biologie der Sowjetunion enorm zurück. Diese Thesen besagten, dass die Genetik sowie das Prinzip der natürlichen Selektion Ausgeburten der bourgeoisen westlichen Wissenschaft seien. Die Idee der Genetik, nämlich dass durch rein biologische Faktoren bereits viel über einen Organismus feststeht widerspricht der Weltanschauung des historischen Materialismus und sei somit anti-sowjetisch. Seine Theorie, der nach ihm benannte Lyssenkoismus besagte, dass die Eigenschaften von Organismen nicht durch Gene, sondern durch Umweltbedingungen bestimmt würden. Die Genetiker unter seinen Kollegen waren gezwungen ihre Arbeit aufzugeben und die Existenz von Genen zu widerrufen (Medwedew 1971, Regelmann 1980, Roll-Hansen 2005), andernfalls drohte ihnen die Entlassung oder die Deportation in die sowjetischen Zwangsarbeitskolonien, die Gulags. Unter den Biologen ist das wohl berühmteste Opfer der international anerkannte Botaniker und Genetiker Nikolai Iwanowitsch Wawilow (1887–1943), welchem seine Auseinandersetzungen mit dem Lyssenkoismus 1940 zum Verhängnis wurde, als er 1940 inhaftiert wurde und 3 Jahre später in Haft starb. Obwohl im Jahr 1964 Genetiker wieder Anerkennung erfuhren, konnte die Sowjetische Biologie dank der politischen Einflüsse und dem Lyssenkoismus nie wieder international mithalten. (Deichmann 1995, 362, Roll-Hansen 2005).
Anne Bäumer: Die Politisierung der Biologie zur Zeit des Nationalsozialismus, Biologie in unserer Zeit 19,3 (1989): 76-80.
Deichmann, Ute: Flüchten, Mitmachen, Vergessen; Chemiker und Biochemiker im Nationalsozialismus. Weinheim: VCH, 2001.
Deichmann, Ute: Biologen unter Hitler; Porträt einer Wissenschaft im NS-Staat. Frankfurt: Campus, 1995.
Harwood, Jonathan: Are there national styles of scientific thought? Genetics in Germany, 1900-1933, in: Peter Weingart (Hrsg.) Grenzüberschreitungen in der Wissenschaft, Baden-Baden: Nomos 1995: 31-53.
Medwedew, Schores Alexandrowitsch: Der Fall Lyssenko. Eine Wissenschaft kapituliert, Hamburg, 1971.
Regelmann, Johann-Peter: Die Geschichte des Lyssenkoismus, Frankfurt (Main): Fischer, 1980.
Roll-Hansen, Nils: The Lysenko Effect: The Politics of Science. New York: Humanity Books, 2005.
Sachse, Carola (Hrsg.): Die Verbindung nach Auschwitz. Biowissenschaften und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten. Dokumentation eines Symposiums (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bd. 6). Wallstein, Göttingen, 2003.
Schmuhl, Hans-Walter: Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927–1945 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Band 9). Göttingen: Wallstein, 2005.
Vierhaus, Rudolf & Bernhard vom Brocke (Hrsg.): Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft: Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1990.
Weingart, Peter & Jürgen Kroll & Kurt Bayertz: Rasse, Blut und Gene: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt: Suhrkamp 1992.
Zofka, Zdenek: Der KZ-Arzt Josef Mengele. Zur Typologie eines NS-Verbrechers, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34 (1986): 245–267.