Dr. phil. Marcus Stiebing
Die als Diskursanalyse angelegte Studie untersucht „Kindsein“ in der Theresianischen Militärakademie, die 1751 im Zuge der Reformen Maria Theresias (1717-1780) und Josefs II. (1741-1790) auf der Wiener Neustädter Burg eingerichtet wurde. Sie fragt, wie „Kindsein“ und „Militär“ zwischen 1769 und 1805 als eine auf die Habsburgermonarchie bezogene Denkfigur in der Neustädter Akademie zusammengedacht und damit eine sehr spezifische Vorstellung von „Kindsein“ im Bereich des Militärischen geformt wurde. Die Theresianische Militärakademie unterstand in diesen Jahren Anton Graf von Colloredo-Melz und Wallsee (1707-1785) sowie Franz Josef Kinsky von Wchinitz und Tettau (1739-1805), die als aktive Militärs in die Neuausrichtung des Heeres involviert waren und die Ausbildung künftiger Offiziere in der Neustädter Akademie maßgeblich prägten.
Methodisch orientiert sich das Projekt einerseits an den diskursanalytischen Arbeiten Theo van Leeuwens, der davon ausgeht, dass Diskurse soziale Praktiken und Phänomene im Text, im Bild und im Objekt freilegen. Im Mittelpunkt stehen dabei besonders die Interessen hinter dem Diskurs: Wer sagt also warum etwas in einer bestimmten Situation? Welchen Regeln folgen die Sprechenden dabei? Andererseits trägt diese Studie dem Umstand Rechnung, dass „Kindsein“ ein historisch wandelbares Phänomen ist und demzufolge im jeweils konkreten soziokulturellen Kontext interpretiert werden muss. Im vorliegenden Fall erscheint Kindsein als individueller Zustand, als soziale Akteurschaft und als Zukunftsmetapher.
Zentrales Anliegen dieser Untersuchung ist es zu reflektieren, warum das Militär „Kindsein“ für die eigenen Belange entdeckte und wie innerhalb der Akademie über „Kindsein“ gesprochen wurde. Daneben möchte die Studie zeigen, dass die Neustädter Akademie die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als aufgeklärten Zentral- und Militärstaat neuformierende Habsburgermonarchie im Kleinen abbildete. Dies gründete im Wesentlichen auf dem Zusammendenken von „Kindsein und „Militär“ als Denkfigur.
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