Die europäische Praxis der Rede im öffentlichen Raum hat ihren Ursprung in der griechischen und römischen Antike. In griechischen Städten und im Römischen Reich war die politische Entscheidungsfindung wesentlich mit der deliberativen Debatte, dem Reden vor verschiedenen politischen Gremien verknüpft. Seit dem 5. Jh. v. Chr. war die Rhetorik Bestandteil der allgemeinen Bildung der Führungsschichten und besaß für die politische Kommunikation in der gesamten Antike, aber auch für alle nachfolgenden Epochen der europäischen Kultur – durch die Rezeption antiken Bildungsguts – eine zentrale Rolle. In dem Forschungsvorhaben wird der Zusammenhang von oratorischer Praxis und politischer Entscheidungsfindung und die Interaktion zwischen Rednern und ihren Auditorien in ihren performativen, räumlichen und akustischen Bedingungen thematisiert. Zu diesem Zweck werden unterschiedliche Typen von Versammlungsbauten aus den Kerngebieten des griechischen Kulturkreises untersucht – von den frühesten öffentlichen Versammlungsbauten im 5. Jh. bis zu den kaiserzeitlichen Odeia: Erörtert werden sowohl die Orte des öffentlichen Debattierens in ihrem architektonischen Kontext und ihrer akustischen Dimension als auch die Redner und ihre Auditorien.
Dabei werden diese als Teil und Ausdruck einer besonderen sozialen Konfiguration begriffen, in der die jeweiligen Rollen durch unterschiedliche Anforderungen und Erwartungen an die soziale und rechtliche Stellung, an Habitus und Bildung vorgegeben waren. Auf Basis der Auswertung relevanter literarischer und epigraphischer Quellen und Analyse architektonisch gefasster Versammlungsplätze und Räumlichkeiten (Theater, Agorai, Ekklesiasterien, Bouleuterien) wird der konkrete Ablauf typischer oratorischer Situationen im griechischen Kulturkreis rekonstruiert und an geeigneten Beispielen auch akustisch-visuell simuliert. Dies ermöglicht eine kritische Prüfung gängiger Annahmen über die Kommunikation und Interaktion zwischen Redner und Auditorium im öffentlichen Raum. Darüber hinaus eröffnet die Frage nach der Pragmatik oratorischen Geschehens – nach der lebensweltlichen Praxis der öffentlichen Rede, ihren sozialen und politischen, baulichen und damit auch akustischen Bedingungen und stimmlichen Voraussetzungen von Rede – einen neuen Zugang zu bislang wenig untersuchten Fragen wie nach der Zugänglichkeit und Arbeitsweise antiker Gremien und den Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation.
Projektleitung - Kontakt:
Prof. Dr. Peter Scholz
Historisches Institut
Abteilung Alte Geschichte
Keplerstraße 17
70174 Stuttgart
E-Mail: peter.scholz@hi.uni-stuttgart.de